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Der Tod des Landeshauptmanns

Der Tod des Landeshauptmanns

Titel: Der Tod des Landeshauptmanns
Autoren: Eugen Freund
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sein“, schrie Jasmin auf – „das, das …“ „Beruhigen Sie sich, ich wollte Ihnen den Anblick ersparen …“ Bevor er den Satz noch zu Ende sprechen konnte, ergriff ihn Jasmin am rechten Arm. Das Licht der Taschenlampe reflektierte vom silbrig glänzenden Lack des Wagens, Bugelnik sah, mit welch intensivem Blick sie ihn anstarrte. „… das, das ist nicht Stefan! … Das ist … sein Bruder.“

„J ASMIN, WAS IST MIT S TEFAN? “ Jasmin hob den Kopf und starrte Herbert an. Herbert Katterer war seit eineinhalb Jahren Chefredakteur. Er war einer jener seltenen Spezies in diesem Job, der nicht rauchte und nicht trank, der sensibel mit seinen Mitarbeitern umging und zu dem Jasmin – obwohl er einige Jahre jünger war als sie – absolutes Vertrauen hatte. Als er sich vor vier Monaten hatte scheiden lassen, schüttete er ihr sein Herz aus. Seine Frau hatte ein Verhältnis mit einem jüngeren Mann, er hatte schon längere Zeit einen Verdacht gehegt, aber Christine hatte das immer entschieden von sich gewiesen. „Herbert“, sagte Jasmin, nachdem sie die Gedanken an die Geschehnisse in Stefans Garage abgeschüttelt hatte, „Herbert, es ist alles noch völlig unklar. Ich weiß gar nicht, was ich dir sagen soll, irgendwas muss mit Stefan passiert sein. Aber gib mir bitte noch etwas Zeit. Ich verspreche dir, du bist der erste, dem ich erzähle, was vorgefallen ist, wenn ich selbst einmal klarer sehe.“ Herbert holte Luft, um noch eine Frage zu stellen, aber dann entschied er sich dagegen und verließ ihren Schreibtisch. Jasmin stand auf, ging in die kleine Küche, holte sich ein Glas Wasser und setzte sich wieder an ihren Platz. Dann nahm sie die nächsten Seiten aus der hellroten Mappe und las weiter.
    Von: [email protected]
An: [email protected]
    Die Landung an diesem wunderschönen Frühlingsmorgen des Jahres 1986 am Flughafen in Schwechat war butterweich. Die Boeing 737 von Frankfurt hatte nur wenige Minuten Verspätung, nach dem langen Transatlantikflug waren die Krimnicks froh, endlich in Wien angekommen zu sein. Joshua Krimnick, Davids Großvater, wollte aufstehen und seinen Rucksack aus dem Fach über seinem Sitz holen, um den „New Yorker“ zu verstauen, den er gerade gelesen hatte, aber da kam eine Stewardess auf ihn zu. „Wow“, dachte Joshua und lächelte sie an, „wäre die nur auf dem Übersee-Flug nach Frankfurt an Bord gewesen, so eine Figur, der Busen fest wie zwei halbierte Grapefruits.“ Aber statt mit ihm zu flirten, ermahnte sie ihn, noch so lange sitzen zu bleiben, bis das „Fasten Seat Belt“-Zeichen erloschen war. So lag der „New Yorker“ auf seinem Schoß, seine Gedanken kehrten zurück zum Artikel von Elias Canetti. Der Zufall wollte es, dass in diesem Heft Canettis tägliche Besuche im Wiener „Café Museum“ beschrieben wurden. Er hatte dort Karl Kraus getroffen, oder besser, Kraus – oder jedenfalls jemand, der ihm verblüffend ähnlich sah – hatte sich an einen Tisch gesetzt, um, wie Canetti schrieb, „allein unter den vielen Gästen zu sein“. Das „Café Museum“, dachte Joshua Krimnick, müssen wir unbedingt besuchen.
    Ein Gong riss ihn aus seinen Gedanken. Unruhe verbreitete sich in den Sitzreihen, jeder wollte der erste sein, um seine Taschen und Säcke aus der Gepäckablage zu holen. Joshua war immerhin schon sechsundsiebzig Jahre alt, aber mit seinem vollen, schlohweißen Haar, das er links gescheitelt trug, sah er deutlich jünger aus. Einmal noch wollte er mit seinem Enkel Wien besuchen, wo er zur Welt gekommen war, wo er die ersten achtundzwanzig Jahre seines Lebens verbracht hatte. Nach seiner Flucht im Jahr 1938 hatte er ursprünglich vorgehabt, mit diesem Kapitel seines Lebens abzuschließen, aber in der Nachkriegszeit verbrachte er als „Besatzungssoldat“ (in Wahrheit war er für den Geheimdienst tätig) wieder zwei Jahre in Österreich. Auch wenn die österreichische Bundeshauptstadt um diese Zeit noch in Schutt und Asche lag, faszinierten ihn die Möbel und Kunstgegenstände aus der Jahrhundertwende. Damals verkauften viele aus Not, wovon sie sich am ehesten trennen konnten, um gelegentlich wenigstens ein Kilo Zucker oder ein Stück Fleisch zu erwerben. Joshua Krimnick hatte einen kleinen Lagerraum gemietet und hortete dort die Schätze, die er zusammengekauft hatte. Als er in den späten Sechzigerjahren den Dienst beim FBI quittierte, verlegte er sich ganz auf das Antiquitäten-Geschäft. Er übersiedelte nach New York, wo er mit dem
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