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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen
Autoren: Philip Pullman
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Polizeiwache in Lambeth eine lebhafte Diskussion mit dem diensthabenden Sergeant. Der Constable, der sie im Stall aufgegriffen hatte, hatte sie mitgenommen. Für die Begründung ihrer Verhaftung hatten sie nur Hohn und Spott übrig.
    »Babys?«, stieß Con verächtlich hervor. »Ist der Mann völlig bescheuert?«
    »Pass auf, sonst scheuere ich dir gleich eine – «, drohte der Constable, doch Con wich geschickt aus.
    »Genug jetzt«, rief der Sergeant. »Constable, was haben Sie gesehen?«
    »Gar nichts hat er gesehen, weil er blind ist. Blind in jeder Hinsicht.«
    »Ruhe!«, donnerte der Sergeant.
    »Man hat sie gesehen«, sagte der Constable betont würdevoll, »mit einem Baby oder Kleinkind, von dem der Stallbesitzer vermutet, dass es gestohlen wurde – «
    Gejohle von den beiden Jungen. Der Sergeant schlug mit der Faust auf den Tisch.
    » – und daraufhin habe ich sie mitgenommen«, schloss der Constable wenig überzeugend seine Aussage.
    »Und wo ist das Baby?«
    »Äh, nun, das war bei dem anderen Pack.«
    »Welches andere Pack?«
    »Das erste, das er rausgeworfen hatte.«
    »Was hat er? Er sieht eine Rasselbande mit einem Baby, wirft sie raus und dann kommen Sie und verhaften diese Spezialisten hier als Ersatz für die ersten.«
    »Tja – «
    »Constable, ich gratuliere Ihnen. Sie haben eine ganz neue Methode polizeilichen Handelns erfunden. Wir suchen nicht nach den Tätern, sondern verhaften einfach diejenigen, die als Nächste daherkommen. Damit sparen wir viel Sohlenleder auf Polizeistiefeln! Was für ein erstaunlicher Fortschritt in der Kriminalistik! Was für – «
    »Können wir dann gehen?«, fiel ihm Tony ins Wort.
    »Nein!«, schrien Sergeant und Constable wie aus einem Mund.
    »Aber Sergeant«, sagte Con, und darauf Tony: »Echt, wir haben nichts gemacht«, und wieder Con: »Wir müssten sonst schnell irgendwas anstellen, damit Sie uns was vorwerfen können«; darauf der Sergeant: »Ich werf euch gleich den Raubtieren vor -«, und wieder Tony: »Ich will vorher meinen Anwalt sprechen«, und darauf Con: »Wo ist denn nun das Baby?«, und wieder Tony: »Sie können alle meine Taschen leeren und mich auf den Kopf stellen, Sie werden bei mir kein Baby finden«, darauf der Sergeant: »Schluss jetzt mit diesem Unfug«, und wieder Con: »Wer will denn überhaupt ein Baby?«, und darauf der Constable: »Sie waren es« – er schwor sogar –, und wieder Con: »Ich kenne das Gesetz! Corpus Delicti! Sie müssen erst mal den Corpus finden. Wo ist er denn?«, und darauf Tony: »Genau, wo ist er?«, – und schließlich der Sergeant: »HAUT AB!«
    Fünf Sekunden später waren sie aus der Wache und um die nächste Straßenecke. Con schüttelte, voller Mitleid und Verachtung, den Kopf.
    »Kaum zu glauben, wie hilflos die waren«, sagte er abschließend. »Aber nun müssen wir die anderen finden. Ich wette, sie sind bei Ravelli.«
    »Und ich wette, bei Dog & Duck.«
    Ravelli war ihre Abkürzung für The South London Imported Italian Goods Warehouse, Antonio Ravelli e Figli. Unter Italian Goods hatte man sich Nudeln, getrocknete Früchte, Olivenöl und dergleichen vorzustellen, die Antonio Ravelli und Söhne in einem unbewachten Schuppen hinter einem Maschinenhaus an der Duke Street lagerten. Die Bande hatte vor einem Monat einen Weg gefunden, dort einzusteigen, und hinter dem Hauptgebäude einen eingezäunten kleinen Hof entdeckt. Durch ein paar lose Latten im Zaun konnte man bequem ein und aus gehen. Con und Tony schauten zuerst dort nach und hatten Glück.
    Sie kamen gerade richtig, um im Hof Zeugen einer Prügelei zwischen Bill und Liam zu werden. Der größte Teil der Bande sah begeistert zu und schloss Wetten ab.
    »Was ist denn in die beiden gefahren?«, fragte Gon einen der Zuschauer, nachdem er durch die Lücke im Zaun gestiegen war.
    »Bridie«, lautete die Antwort. »Sie sind aufeinander eifersüchtig.«
    »Ach so«, sagte Tony enttäuscht. Wenn ihnen inzwischen nichts Besseres mehr einfiel, als sich um ein Mädchen zu prügeln, waren sie offensichtlich weich geworden, dachte er. Der Kampf wurde jedoch verbissen geführt: Fäuste und Füße, Kopf, Knie und Ellbogen durften eingesetzt werden, während Messer, Gürtel und Schlagringe verboten waren.
    »Ist das Kind hier?«, fragte Con, doch der Kampf ging gerade in seine entscheidende Phase und niemand antwortete ihm. Er schaute durchs Fenster und sah Bridie und Harriet auf einem Haufen Stroh sitzen, zwischen sich eine Tüte mit Makkaroni.
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