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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen
Autoren: Philip Pullman
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hielt inne, als man sie nun in die Droschke hob.
    »Und seitdem«, flüsterte sie, »brannte er darauf, sich an mir zu rächen. Und nun ist er tot. Die Rache ist ihm zum Verhängnis geworden. Aber im Keller habe ich versucht ihn zu retten. Ich habe alles getan, um ihn aus dem Wasser zu ziehen. Ich habe ihn am Leben gehalten …«
    Sie verlor wieder das Bewusstsein. Jim schaute die anderen an; er war sprachlos.
    »Habt ihr das gehört? Der Kerl, der hinter allem steckte, war … Darum ging es also!«
    »Wenn ich recht verstehe«, bemerkte Mr Wentworth, »könnte Miss Lockhart die Anklage wegen des angeblich gestern versuchten Mordes an diesem Mann dadurch zurückweisen, dass sie glaubhaft macht, sie habe ihn schon vor einiger Zeit umzubringen versucht. Oder habe ich das falsch verstanden?«
    Jim, Sally in den Armen, blickte den Anwalt scharf an, um herauszufinden, ob das ironisch gemeint war, doch das schien ihm nicht der Fall zu sein.
    »So ungefähr«, sagte er lapidar.
    Margaret hatte immer noch das Papier in der Hand. Sie betrachtete es genauer und versuchte die Zahlenreihen zu deuten.
    »Das ist eine Liste von Zahlungen – eingenommene Beträge«, erklärte sie. »Aber welche Spalte die wichtige ist oder ob alle bedeutsam sind, kann ich nicht erkennen.«
    »Lassen Sie mich das Blatt trocknen«, schlug der Anwalt vor, öffnete seine abgewetzte Aktenmappe, holte ein Löschpapier hervor und legte die Seite aus dem Hauptbuch hinein.
    »Goldberg«, sagte Sally, die wieder erwachte, » – er hat ein Notizbuch, das Parrish gehörte …«
    »Ah! Allmählich verstehe ich«, sagte Mr Wentworth.
    Eine schelmische Freude überzog sein koboldhaftes Gesicht. Jim musste daraufhin ebenfalls lächeln. Dann sagte er: »Ich sollte jetzt schnellstens nach Twickenham zurück. Sarah-Jane Russell hat es allein mit Parrish und dem Polizisten zu tun und sie fühlte sich ein bisschen mitgenommen.«
    Er erzählte ihnen, was im Haus passiert war, und amüsierte sich dabei noch einmal köstlich über den Effekt, den der Nachttopf gehabt hatte. »Sarah-Jane glaubte, sie hätte ihn umgebracht. Sie sah sich schon verhaftet und am Galgen hängen. Die Angst stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben …«
    »Ich nehme an, sie ist durch den Schuss so erschrocken, dass sie das Keramikgefäß aus Versehen fallen lassen hat«, sinnierte Mr Wentworth laut. »Ich bin sicher, Sie können ihr diese Verkettung unglücklicher Umstände wieder ins Gedächtnis rufen. Auf jeden Fall scheint der Mann keinen bleibenden Schaden davongetragen zu haben.«
    Er schaute aus dem Fenster und klopfte gegen das Droschkendach.
    »Kutscher!«, rief er. »Bitte halten Sie hier – ich gehe das Stück zu Fuß bis zum Clerkenwell-Bau.«
    »Zum Clerkenwell-Bau?«, fragte Margaret, als der vogelartige kleine Mann aufstand.
    »Da gibt es ein Gefängnis«, sagte Jim. »Goldberg.«
    Der Anwalt nickte. »Fahren Sie bitte weiter zum Krankenhaus«, wies er den Kutscher beim Aussteigen an, und zu den anderen gewandt: »Ich komme ebenfalls dorthin, sobald ich kann.«
    Und weg war er. Jim schaute ihm nach, wie er die Straße entlanghinkte. Zu Margaret sagte er: »Ein wirklich anständiger Mann. Wie bist du auf ihn gekommen?«
    »Er hat sein Büro gleich um die Ecke«, sagte sie. »Er war die ganze Zeit über hier, während dieser Adcock, dieser unfähige Jammerlappen von einem Anwalt, zuließ, dass Sally ausgeplündert wurde … Wenn sie sich nur von Anfang an an Mr Wentworth gewandt hätte!«
    »So ein Schlamassel«, sagte Jim. »Ich habe das Gefühl, an sechs verschiedenen Orten gleichzeitig Feuerwehr spielen zu müssen. Da ist diese verrückte Anklage, die über Sally schwebt, da ist Harriet, die wir noch nicht gefunden haben …«
    »Da ist die Firma, die am Rande des Bankrotts steht«, fiel Margaret düster ein. »Er hat mitgenommen, was er nur kriegen konnte, und alles ganz legal.«
    Jim blickte aus dem Fenster. Die Droschke fuhr durch das Tor des Bartholomew-Hospitals in Smithfield.
    »Wir sind da«, sagte er und schaute auf seine Taschenuhr. »Kannst du bei ihr bleiben?«
    »Selbstverständlich. Im Büro gibt es nichts zu tun, davon ist sowieso kaum etwas übrig geblieben.«
    »Ich mache mich auf die Suche nach einem Telefon. Ich habe eine Nummer, unter der ich vielleicht Neues erfahren kann.«
    Er schaute Sally einen Augenblick an, strich ihr mit rauer Zärtlichkeit über das kurz geschorene Haar und sprang aus der Droschke.
     
    Etwas früher hatten Con und Tony in einer
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