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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen
Autoren: Philip Pullman
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hier müssen Sie verhaften!«
    »Es tut mir leid, Mr Taylor. Das Gesetz ist auf seiner, nicht auf Ihrer Seite. Wenn Sie also bitte mitkommen wollen, ich muss Sie festnehmen – «
    »Sie glauben doch wohl nicht, dass diese kleine Ratte sich hier hätte einnisten können, wenn Mr Garland und ich da gewesen wären. Er hat kein Recht dazu und Sie wissen das!«
    »Ich muss die Sache so nehmen, wie sie sich mir gegenwärtig darstellt, Mr Taylor.«
    »Boss!« Ein Mann kam an die Haustür gelaufen und blieb stehen, als er die Auseinandersetzung mit dem Polizisten sah. Es war der Mann, der zum Telefonieren geschickt worden war.
    »Ja, Al?«, sagte Mendel von der Küchentür aus.
    »Das ist Mendel!«, rief Parrish sofort. »Der Gangsterboss aus Soho. Sicherlich ist eine Belohnung auf ihn ausgesetzt – «
    Der Polizist war verwirrt. Mendel trat aus der Küche und Parrish verstummte.
    »Was gibt es Neues?«, fragte er den Mann an der Haustür.
    »Einer von Moishe Lipmans Leuten hat vor ein paar Minuten angerufen. Er sagt, das Haus am Fournier Square – das, was sie beobachten sollten – ist eingestürzt. Einfach in sich zusammengefallen!«
    »Etwa das, in dem Miss Lockhart war?«, fragte Jim, zu Mendel gewandt. »In Spitalfields?«
    Mendel nickte. Der Polizist sah vom einen zum anderen und wusste nicht, was er tun sollte. Deshalb war er nicht in der Lage, Jim aufzuhalten, der an ihm vorbeistürzte und durch die Haustür davoneilte.
    »Haltet ihn!«, rief er den anderen Polizisten zu, doch Jim entkam ihnen mit Leichtigkeit. Sarah-Jane wusste, dass er auf dem kürzesten Weg nach Spitalfields laufen würde – und sie wusste auch, dass sie in dieser Situation nun die Verantwortung übernehmen musste, denn Mendel hatte hier keine Autorität, er war nur Gast in diesem Hause.
    In dem kurzen Augenblick des Schweigens, der folgte, räusperte sie sich und sagte: »Tja, Constable, ich schlage vor, wir setzen uns erst einmal und versuchen der Sache auf den Grund zu gehen. Offenbar bringt Mr Parrish einiges durcheinander, Sie sehen ja, er ist schwer am Kopf getroffen worden. Soll ich uns allen einen Tee machen?«
     
    Seit der Epoche, in der das Haus am Fournier Square Sitz eines Raritätenkabinetts war, in dem es unter anderem eine echte Meerjungfrau, eine Hottentottenprinzessin und einen Wolfsjungen zu bestaunen gab, hatte es hier keinen solchen Menschenauflauf mehr gegeben.
    Der Regen hatte aufgehört, was die allgemeine Stimmung noch hob. Diese erreichte ihren Höhepunkt, als die letzte noch stehende Häuserwand einstürzte.
    Bis dahin hatte die Feuerwehr ein halbes Dutzend Männer und Frauen aus den Trümmern geborgen, doch das Haus war groß und beherbergte einen vielköpfigen Haushalt. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich die merkwürdigsten Dinge: Ein geheimnisvoller Besitzer – an den Rollstuhl gefesselt – merkwürdige Maschinen – geheime Verliese – Schreie mitten in der Nacht … Die Gerüchte schossen ins Kraut.
    Gegen zehn Uhr vormittags durften die Bewohner der Nachbarhäuser, die man evakuiert hatte, wieder zurück in ihre Häuser und konnten sich endlich anziehen. Feuerwehrleute inspizierten die Trümmerstätte. Reporter der wichtigsten Londoner Blätter hatten bereits den verantwortlichen Feuerwehrhauptmann, Anwohner und Passanten befragt. Künstler hielten die Szenerie für Radierer und Kupferstecher fest, die anschließend ihre Zeichnungen gravierten, damit diese dann in illustrierten Wochenzeitungen abgedruckt werden konnten. Pastetenverkäufer brachten ihre Karren in Stellung, und ein mobiler Kaffeeausschank, vor den ein klappriger Gaul gespannt war, erwies sich als Goldgrube für den findigen Wirt.
    Die Rettungsarbeiten waren in vollem Gange. Diener und Mägde wurden nach und nach aus den Trümmern geborgen. Drei waren tot, sechs verletzt und, den Auskünften der Überlebenden zufolge, wurden fünf weitere Personen vermisst: ein Leibdiener, ein Lakai, ein Hausmädchen, der Butler und der Herr des Hauses, Mr Lee.
    Der Sekretär, Herr Winterhalter, war, abgesehen von einem gebrochenen Schlüsselbein, unverletzt geblieben. Er stand neben einem Polizeibeamten und identifizierte die Dienstboten, die herausgebracht wurden. Er hatte dem Polizisten auch den Grundriss des Hauses beschrieben, damit die Rettungsmannschaft wusste, wo sie zu suchen hatte.
    Am Rande der Menschenansammlung stand Margaret Haddow. Neben ihr waren Rebekka Meyer, einen Arm in der Schlinge, und Rechtsanwalt James Wentworth. Jedes
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