Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
Bridie zeigte der Kleinen, wie man eine Feder in der Luft zum Tanzen bringen konnte, indem man durch ein Makkaroniröhrchen blies.
    »Hier ist also alles in Ordnung«, sagte Con. »Glaubst du, dass es im Lagerhaus ein Telefon gibt?«
    Tony schaute zum Dach hinauf, nickte abwesend und wandte sich wieder dem Kampf zu. Da Con sich verantwortlich fühlte, seufzte er kurz und machte sich dann daran, das Schloss zu knacken.
     
    Als Jim also die Vermittlung bat, ihn mit der Nummer 4214 zu verbinden, erfuhr er von dem Mann in Soho, dass er nach Lambeth in die Duke Street gehen solle. Dort werde er das Kind finden.
    »Ich komme mit«, sagte Sally fünf Minuten später und versuchte auch gleich sich im Bett aufzurichten.
    »Du bleibst hier!«, sagte Jim mit Nachdruck. »Du verlässt das Krankenhaus nicht eher, als bis all deine Schnitte und Schrammen gereinigt und genäht sind. Und Gott weiß, was du dir für scheußliche Krankheiten eingefangen hast, als du in dieser Brühe dort unten im Abwasserkanal herumgepaddelt bist. Habe ich nicht Recht, Doktor?«
    Der Arzt nickte. »Ich bin mit der Untersuchung noch nicht fertig, Miss Lockhart. Ich kann es nicht verantworten, Sie in diesem Zustand gehen zu lassen.«
    »Pass auf sie auf, Margaret«, gebot Jim.
    »Aber was ist passiert? Wo ist Harriet jetzt?«
    »Offenbar hat dein Goldberg sie aus Parrishs Haus in Clapham befreien können. Sie ist jetzt bei Freunden in Lambeth. Wenn du mir meine Hand zurückgibst, mache ich einen Sprung über den Fluss und hole sie.«
    Sally ließ seine Hand los. »Goldberg?«, sagte sie nur. Die Anspannung und die plötzliche Erleichterung waren zu viel für sie; sie begann erbärmlich zu weinen. Jim verließ das Zimmer.
     
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Droschke die Blackfriars Bridge überquert hatte, dann war Jim in Lambeth. Ein wüster, durch eine Zaunlücke geführter Wortwechsel mit einem misstrauischen irischen Straßenjungen, ein paar Schritte durch Schmutz und Schlamm und dann stand er im Hof des Italian Goods Warehouse. Eine Bande von Kobolden und Irrwischen lagerte hier, und der Junge, der ihn eingelassen hatte, zeigte auf die Tür.
    »Er liest ihr gerade etwas vor«, sagte er stolz, »aus einem Buch.«
    Die Prügelei war vorbei. Bill und Liam waren zu der Erkenntnis gekommen, dass jedes Mädchen, das es zuließ, dass sich andere um es prügelten, nicht der Mühe lohnte, auch wenn der Kampf an sich gut gewesen war. Nun räkelten sie sich auf dem Stroh, während Bill Harriet aus seinem Lesebuch vorlas.
    »Siehst du die Kaninchen?«, sagte er zu ihr. »Jetzt hör zu. Das ist echt gut. Wie süß die Kleinen neben ihrer Mutter aussehen. Alle scheinen so glücklich.«
    »Mickrige Viecher«, sagte Liam verächtlich. »Für die würde ich keine fünf Pence geben.«
    »Mickrige Viecher«, wiederholte Harriet.
    »Nein, hör doch. Alle Geschwister sollten sich lieben, dann wären sie auch glücklich. Wir sollten es nicht zulassen, dass die Tiere uns in der Liebe über… über… übertreffen.«
    »Hast du nichts Besseres gefunden?«, fragte Liam, doch Harriet zeigte zur Tür, die Jungen schauten auf und da stand Jim.
    Sie setzten sich langsam auf und jeder rückte näher an Harriet heran. Der Ausdruck ihrer Gesichter hatte sich augenblicklich gewandelt: Gespannt, herausfordernd und kampfbereit blickten sie ihn an. Jim war beeindruckt.
    Er stellte seinen Rucksack ab und ging in die Hocke, die Arme ausgebreitet, um Harriet zu begrüßen.
    »Schau«, sagte sie und schob ihre Beschützer ungeduldig von sich. »Schau, Onkel Jim.«
    Sie hatte ein abgebrochenes Stück Makkaroni in der schmutzigen, klebrigen Hand, nahm es in den Mund und blies damit eine Feder von der Innenfläche ihrer Hand.
    »Schönes Spiel«, sagte Jim anerkennend. »Das ist ein Blasrohr. So was benutzen auch die Indianer im Dschungel, da komm ich gerade her. Gehst du jetzt mit mir nach Hause, zu Mama?«
    Harriet schaute ihn ungläubig an.
    »Onkel Webster ist auch wieder daheim«, fuhr Jim fort. »Und Sarah-Jane. Und ich wette, Mrs Perkins hat auch ein paar Makkaroni in der Küche, mit denen du Blasrohr spielen kannst.«
    »Hier«, sagte die schönste Stimme, die Jim je vernommen hatte. Er schaute erstaunt auf und sah ein Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren, das ebenso verwegen aussah wie der Rest der Bande, aber eine Stimme besaß, wie man sie in einem Traum hören mag und nie wieder vergisst. Sie hielt Harriet eine braune Papiertüte hin. »Nimm die zum Abendessen mit nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher