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Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Titel: Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Autoren: Claus Riemann
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zieht sie heimlich an, sie ist wie besessen davon. Schließlich passiert das Drama: Die Schuhe beginnen mit ihr zu tanzen, und sie kann nicht mehr aufhören, bis sie in ihrer abgrundtiefen Erschöpfung zum Haus des Scharfrichters tanzt, der ihr die Füße abschlägt. Die Füße tanzen dann in den Wald und verschwinden mitsamt den Schuhen. Man könnte sagen, das Mädchen ist für sein Lebtag bestraft, nach dem Motto »Übermut tut selten gut«.
    Genau das passiert symbolisch gesehen immer wieder mit vielen Widder-Mädchen, ganz gleich, ob sie beispielsweise Widder-Mond oder Widder-Sonne haben. Ich spreche hier von allen Frauen und Mädchen, die von diesem Archetyp stark beeinflusst sind. Dieses Frauenbild hat in unserer Kultur ganz einfach keinen Platz, und in der Mutter Kirche sowieso nicht. Die einzige »Göttin«, die in der christlichen Kirche Platz hat, ist keine rote Göttin, sondern eine weiße Göttin, Maria – die Frau ohne Unterleib, wenn man es drastisch ausdrücken will. Ihre Hexenschwester, die vitale, kräftige, mächtige Seite des Weiblichen, haben wir auf den Scheiterhaufen gepackt, und das ist für wilde Mädchen, wie Widder-Mädchen es von der Anlage her sind, verhängnisvoll. Heute noch gibt es viele depressive Widder-betonte Frauen, die ihre Kraft gar nicht kennen und sehr früh schon gelernt haben, dass sie nur dann überleben können, wenn sie Kreide fressen, wenn sie ganz nett und brav werden, weiße Kleidchen tragen und zu Marienkindern werden. Ihre wilde Seite, den inneren Tiger, die innere Wölfin, haben sie schon lange vergessen oder vielleicht auch nie kennen gelernt. Ich habe von vielen Frauen mit Widder-Energie gehört: Dieses Märchen, das ist mein Leben. Als ich ein kleines Mädchen war, drei, vier oder fünf Jahre alt, da hatte ich diese Kraft noch. Damals hatte ich keine Lust, mit Puppen zu spielen, da war ich im Dschungel, habe mit den Jungs gespielt, bin mit blutenden Knien nach Hause gekommen, und es war immer aufregend und spannend. Wenn ich Kindheitsfotos anschaue, dann ist irgendwann, mit sieben, acht, neun Jahren, spätestens in der Pubertät, diese Energie weg, dann sehe ich blass und unglücklich und gehemmt aus. Dann sind die roten Schuhe verbrannt worden.
    Clarissa Pinkola Estés, die das Buch Die Wolfsfrau geschrieben hat, richtet deshalb den Appell an die Frauen, die von diesem Thema betroffen sind: Macht euch euer zweites Paar rote Schuhe selbst, findet zurück zu dieser Autonomie, zur Amazonenkraft, zur Energie der Wolfsfrau. Das ist eine sehr wichtige Botschaft, die nur bedingt mit dem Horoskop zu tun hat, sondern sich auf unsere traditionellen Rollenvorstellungen, unsere kulturellen Vorgaben bezieht.

Das Fische-Zeitalter
    Ein weiteres kollektives Problem für Widder ist sicherlich, dass die vergangenen zweitausend Jahre das Fische-Zeitalter waren. Das heißt, dass sich der Frühlingspunkt von der Erde aus gesehen etwa zweitausend Jahre lang in der Nähe des Sternbildes Fische befunden hat. Nun ist Fische das rücksichtsvollste Zeichen des Tierkreises und stellt damit ein Gegenprinzip zu Widder dar. Die Fische-Thematik trifft sich mit der Lehre des Christentums, die die letzten zweitausend Jahre unseren Kulturkreis geprägt hat und deren Maxime ist: Denk an dich selbst zuletzt, und wenn dir jemand etwas tut, halte die andere Wange hin. Das Motiv des Leidens bis hin zum Märtyrertum spielt in unserer Kultur eine große Rolle; wir beten keinen lachenden Buddha an, sondern einen leidenden Mann am Kreuz. Und so wunderbare, stimmige Motive das Christentum hat – wie alle Religionen dieser Welt -, so schwierig ist dieses Erbe für Widder-betonte Menschen, die oft unter großen Schuldgefühlen leiden, wenn es um Eigenwillen, um Egoismus, um kriegerische Energien geht. Wenn Widder zu Schafen umerzogen werden sollen, die in der Herde eines Pastors brav funktionieren und in der Masse jede Individualität verlieren, dann steht das in extremem Widerspruch zu ihrem inneren Auftrag.

Widder und Therapie
    Ich will zunächst einmal unterscheiden zwischen dem gebrochenen und dem ungebrochenen Widder. Normalerweise hat ein ungebrochener Widder überhaupt kein Bedürfnis nach therapeutischer Hilfe, er lacht über Menschen, die so etwas »nötig haben«. Sein Motto ist »Ich komme allein zurecht, ich brauche niemanden« und nicht etwa »Hilf mir«. Der gezähmte Widder dagegen, der das Opfer einer Erziehung ist, die seinen Willen erfolgreich gebrochen und die roten Schuhe verbrannt
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