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Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Titel: Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Autoren: Claus Riemann
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einem Mann oder in einer Frau wohnt, muss den Gegenaspekt von Vergänglichkeit akzeptieren, er muss »Rücksicht« erfahren.
    Ein anderes großes Thema in diesem ausgesprochen männlichen Märchen ist der Umgang mit der Fee. Unser Held tötet die Fee, ohne sich überhaupt mit ihr zu beschäftigen, das heißt, die männliche, marsische Haltung des Widder-Prinzips ist dem Weiblichen gegenüber völlig ignorant. So ist zum Beispiel auch Jason aus der griechischen Mythologie ein Widder-Held. Jason, der das goldene Vlies – übrigens ein Widder-Fell – erobert hat. Dazu bediente er sich des Weiblichen, nämlich der Hilfe von Medea, der gegenüber er sich nach vollbrachter Tat undankbar und rücksichtslos verhielt, indem er sie betrog und verließ. Das war der Auslöser für das Drama, bei dem Medea zur Rächerin wurde.
    Da Widder symbolisch ein urmännliches Prinzip ist, das allerdings genauso gut in Frauen leben kann, besteht für Widder die große Gefahr, mit dem Weiblichen so umzugehen, wie es der Bursche in unserem Märchen tut und wie Jason es getan hat. Ignoriert man das große Weibliche, sei es in einer Beziehung, sei es im Umgang mit dem Unbewussten, dann kann es zur Rachegöttin werden.
    Kollektiv ist hier auch der rücksichtslose Umgang mit Mutter Erde, mit der Natur, ein Thema. Wir machen uns die Erde untertan, anstatt im Einklang mit ihr zu leben, und provozieren so ihre Rache, zum Beispiel in Form von Naturkatastrophen.

Die roten Schuhe
    Wir leben in einer Kultur, in der es bis vor wenigen Generationen noch üblich war, Kindern den Willen zu brechen. In den Handbüchern der schwarzen Pädagogik war zu lesen, dass der Eigenwille die schlimmste und negativste Eigenschaft eines Kindes sei und dass vernünftige Eltern die Pflicht hätten, ihn so früh wie möglich zu brechen. Das Motiv des gebrochenen Willens ist für ein kleines Widder-Kind besonders dramatisch. Als kleines Kind ist man sehr lange abhängig von Vater und Mutter; wenn die Mutter ihr Kind nicht nährt und liebt, ist das wie ein Todesurteil. Für die freiheitsliebenden Widder-Kinder ist allein schon die Abhängigkeit von den Eltern eine ständige Quelle der Ohnmacht. In unserer deutschen Tradition, speziell in der preußischen, die das Prinzip des gebrochenen Willens verherrlichte, finden wir in den Generationen unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern viele Widder, denen man »die Hörner gestutzt hat«. In ganz besonderem Maße haben Frauen diese Frustration erlebt.
    Damit kommen wir zu dem Märchen Die roten Schuhe . (Ich würde übrigens allen Widder-betonten Frauen ans Herz legen, das Buch Die Wolfsfrau zu lesen, und zwar speziell das Kapitel, in dem das Märchen von den roten Schuhen behandelt wird.) In diesem Märchen geht es um ein kleines Mädchen, ein wildes Naturkind, das materiell sehr arm ist, sich aber reich fühlt, weil es sich selbst – wohlgemerkt selbst – aus irgendwelchen Fetzen rote Schuhe gemacht hat. Symbolisch gesehen hat es sich eine Lebenshaltung zurechtgezimmert, die der Farbe Rot entspricht, der Farbe von Mars und Widder, der Farbe des Eigenwillens, des Blutes, der Leidenschaft. Dann passiert das, was in der Erziehung vieler Widder-Mädchen immer wieder passiert: Eine Kutsche mit einer feinen Dame fährt vorbei, und diese Dame verkörpert all das, was wir Konvention nennen, somit auch ein Stück »Mutter Kirche«. Die Dame erblickt voller Entsetzen das verwilderte Naturkind und lässt es in die Kutsche laden. Sie nimmt es mit nach Hause, und dort werden zunächst die roten Schuhe verbrannt. Das Mädchen wird herausgeputzt, zum Püppchen gemacht, in weiße Kleidchen gesteckt. Man könnte sagen, es wird zum Marienkind gemacht, denn Weiß ist bekanntlich die Farbe der Maria, der Unschuld.
    Dieses kleine Mädchen, ich nenne es jetzt einfach mal das »Widder-Mädchen«, verliert aber die Sehnsucht nach seinen roten Schuhen nicht und besorgt sich heimlich bei einem Schuster Ersatzschuhe. Eines Tages geht sie mit diesen Schuhen in die Kirche. Und auf einmal hört kein Mensch mehr dem Pfarrer zu, die Heiligenbilder an den Wänden wackeln entsetzt, und alle starren wie gebannt auf die roten Schuhe. Auch das Mädchen selbst ist ganz verliebt in die roten Schuhe und kann überhaupt nicht mehr weggucken. Sofort wird der feinen Dame gemeldet, was das böse Kind angestellt hat. Das Mädchen wird geschimpft und gedemütigt, die roten Schuhe werden ihr wieder weggenommen und versteckt. Aber immer wieder findet sie sie und
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