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Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Titel: Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Autoren: Claus Riemann
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Zusammenhang gehört auch eine andere sehr schwierige Aufgabe: hören lernen, aufnehmen lernen, akzeptieren lernen, nicht gegen den Fluss des Lebens anschwimmen und ankämpfen, sondern sich vom Leben auf die Schulter nehmen lassen, sich tragen lassen, so mutig sein, sich fallen zu lassen. Hierin besteht die große Chance, zu einer Kraft vorzudringen, die tiefere innere Führung bedeutet und die viel mächtiger und schöner ist als die des trotzigen Eigenwillens. Man könnte ihr die Überschrift geben »Dein Wille geschehe«, und das ist es, was die klassischen Widder-Helden im Märchen lernen: Von der Haltung »Ich kann alles, wozu ich Lust habe« hinzufinden zum »Dein Wille geschehe«. Bei dieser Fügsamkeit kann sich das bewusste Ich anschließen an das, was die Jungianer das »Selbst« nennen, die transpersonale göttliche Kraft, angesichts derer das Ego, der Eigenwillen, seine Herrschaft aufgeben muss.

Don Juan
    Don Juan, der weise alte Schamane, hat seinem Schüler Carlos Castaneda einmal erzählt, wie er als junger Mann auf einer Farm arbeitete, wo es einen Vorarbeiter gab, der Indianer hasste. Don Juan konnte diesem Mann damals nur mit Mühe und Not entkommen, indem er schwer verletzt floh, und überlebte diese Flucht nur knapp. Statt diesem Mann böse zu sein, sagte er als alter Weiser lächelnd und heiter zu Carlos Castaneda: »Ich bin diesem Mann sehr dankbar. Durch seine Grausamkeit und Hinterhältigkeit hat er mich gezwungen, meinen inneren Krieger zu entwickeln.« Im selben Zusammenhang sagte er auch: »Wenn im Leben etwas schwierig wird für dich, dann hast du immer zwei Möglichkeiten. Möglichkeit Nummer eins: dich als Opfer zu sehen, zu klagen und zu jammern und zu zetern. Möglichkeit zwei, zu sagen: Wohin gehe ich von hier aus?«
    Die Lehre des Kriegers, wie Don Juan sie formuliert, bedeutet, alles, was einem im Leben begegnet, als Herausforderung zu sehen. Das wäre eine weise Widder-Haltung. Die weniger reife oder weise Widder-Haltung wäre die des Anklägers: Die Welt (der Vater, die Mutter, die Politiker, die Männer, die Frauen) ist an allem schuld. Ein reifer Widder hingegen braucht keine Sündenböcke mehr. Sheldon B. Kopp, ein alter, weiser, verrückter Therapeut, der vor kurzem gestorben ist und selbst Widder war (er hat unter anderem das Buch Triffst du Buddha unterwegs geschrieben), prägte den Satz: »Es ist sehr wichtig, alle Sündenböcke abzuschaffen.« Das wäre eine große Heldentat für Widder.
    Wer so stark von seinem eigenen Willen bestimmt ist, der wird Mitmenschen zwangsläufig als Rivalen und Konkurrenten empfinden. Widder ist dazu geboren, Erster zu sein, nicht umsonst ist es das erste Zeichen im Tierkreis. Cäsar, auch ein Widder, soll einmal gesagt haben, als er und seine Heerscharen an einem kleinen Dorf vorübereilten: »Lieber in diesem Dorf der Erste als in Rom der Zweite.« Erster oder Zweiter sein, gewinnen oder verlieren, Sieg oder Niederlage, stark oder schwach, das sind Maßstäbe, die im Widder-Prinzip zu Hause sind.
    Die Frage, was Stärke und was Schwäche ist, erfordert meiner Ansicht nach in der zweiten Lebenshälfte eine andere Definition. Manchmal bin ich stark, wenn ich schwach bin, und umgekehrt. Wenn ich nur an einem traditionellen Stärkekonzept festhalte und mir niemals gestatte, zusammenzubrechen, zu verzweifeln, mich fallen zu lassen, dann kostet das die Seele und den Körper auf Dauer unglaublich viel Energie. Da ist es sehr viel gesünder für Körper und Seele, loszulassen, wie der Phönix aus der eigenen Asche wieder aufzuerstehen und von vorn anzufangen.
    Ein »erleuchteter« Widder ist Prentice Mulford, der unter anderem das wunderbare kleine Buch Der Unfug des Lebens und des Sterbens geschrieben hat. Er war ein angesehener Journalist, der irgendwann genug von der zivilisierten Welt hatte und beschloss, ein Leben zu führen, wo ihn, wie er sagte, keiner »begutachten und beschlechtachten« konnte, wo er in jedem Moment das tun konnte, was er wollte, und frei war, seine eigenen Erfahrungen zu machen. Also kaufte er sich mit seinem letzten Geld ein Sumpfgrundstück in New Jersey und baute sich dort, obwohl er keine Ahnung davon hatte, eine Hütte, die auch gleich beim ersten Windstoß zusammenfiel. Er baute sie nach dem Prinzip von »Versuch und Irrtum« wieder auf und wurde schließlich ein primitiver Wilder im positiven Sinne, der zu seinen Ursprüngen und zur Natur zurückfand. Über diese Erfahrung schrieb er höchst intelligente Bücher.
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