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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York
Autoren: Lyndsay Faye
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hörte die Tür ins Schloss fallen und blickte sich um. Nicht wirklich argwöhnisch, aber vorsichtig. Müde nahm ich meinen Hut vom Kopf, zog die Augenbraue auf der ausdrucksstärkeren Seite meines Gesichts hoch und sah meinen Bruder an.
    »Es ist alles vorbei«, sagte ich. »Ich habe den Fall gelöst.«
    »Bravo!« Val fischte einen Zigarrenstummel aus seiner Tasche und steckte ihn sich in den Mundwinkel.
    »Das ist alles, was du zu sagen hast?«
    »Na gut: Meschunne!«, antwortete Valentine augenzwinkernd.
    »Willst du gar nicht wissen, was geschehen ist?«
    »Das werd ich schon morgen von Matsell erfahren. Der kann besser erzählen.«
    »Du bist wirklich ein Hundsfott«, sagte ich und verdrehte die Augen.
    »Falls du willst, dass ich mich später noch an irgendwas von dem erinnere, was du sagst, dann brauchst du jetzt kein weiteres Wort mehr zu verlieren«, sagte mein Bruder mit einem Blick auf seine Taschenuhr. »Wie dem auch sei, man erwartet mich bei einem geheimen Treffen der Partei. Ich muss ein paar Iren genauer anlinzen und entscheiden, wer von denen dazu taugt, künftig auf die Wahlurnen aufzupassen. Du hast jetzt genug von meiner Zeit verschwendet, Tim.«
    »Was heute Nachmittag angeht«, sagte ich beharrlich und lehnte mich an die Hauswand. »Du hast Bird und Mrs. Boehm hierhergebracht. Das war toff von dir, ziemlich sogar. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen. Aber die ganze Zeit bei ihnen zu bleiben, bis ich zurückkommen würde, wo du doch gar nicht wissen konntest, wo ich steckte ...«
    »Mmh?«, brummte er und sah nach links und nach rechts auf der Suche nach einer Droschke. Dann ging er davon in die Elizabeth Street, ohne mir noch die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Ganz so wie immer.
    Er kann einen wirklich auf die Palme bringen.
    »Danke!«, schrie ich.
    Valentine stand mitten auf der Straße und zuckte mit den Schultern. Als er sich nach mir umdrehte, schienen die Tränensäcke unter seinen Augen etwas weniger geworden zu sein.
    »War kaum der Rede wert.«
    »Ich seh dich morgen im Liberty’s Blood. Versuch mal, mit etwas weniger Morphium auszukommen, damit du nicht wieder halb gebeekert bist, wenn ich komme, einverstanden?«
    Auf seinem Gesicht erschien die Grimasse, die bei ihm ein Lachen bedeutet, und wurde gleich darauf durch sein Wolfslächeln ersetzt.
    »Das klingt gut. Versuch du mal bis dahin, nicht so eine beknackte Ziegenzitze zu sein, versprichst du mir das, mein lieber Tim?«
    »Das scheint mir nur recht und billig«, antwortete ich ganz aufrichtig.
    *
    Ich habe die Kirche in der Pine Street nie wieder betreten, und das Haus der Underhills auch nicht.
    Mr. Piest, dem ich während unserer gemeinsamen Mahlzeit alles anvertraute, »entdeckte« eine halbe Stunde, nachdem ich ihm davon erzählt hatte, die Leiche im Schuppen. Zumal ich ihm den Schlüssel gegeben hatte. Reverend Underhill war ganz offensichtlich erwürgt worden, doch es gab keine Zeugen. Keine Hinweise. Keine Verdächtigen. Es war ein betrübliches Verbrechen, offenkundig ein Mord.
    Aber was konnte die Polizei unter derlei Umständen schon tun?
    Mein Kollege sorgte dafür, dass der Leichnam binnen fünf Stunden an einer ruhigen Stelle unter den vertrauten Apfelbäumen im Kirchhof beigesetzt wurde. Später erfuhren wir, dass seine irdischen Besitztümer alle an das Pfarramt gebunden waren. Und er war schon sein ganzes Leben lang ein mildtätiger Mann gewesen, der arme protestantische Familien in ihrer Not unterstützt hatte. Nach dem Begräbnis gab es nur noch das Haus, das der Pfarrei gehörte, und die Möbel darin. Und die hatten lediglich einen Erinnerungswert. In seinem letzten Willen hatte er seine umfangreiche Bibliothek einer freien Schulgemeinde im Viertel vermacht. Das sah ihm ähnlich, dachte ich bei mir. Es schien Thomas Underhill nie in den Sinn gekommen zu sein, dass seine Tochter vielleicht mehr brauchen könnte, als sie besaß, wo es doch so viele gab, die noch weniger hatten.
    Auch das gehörte zu den Dingen, die ich ihm nicht vergeben würde.
    Nachdem ich ein paar Stunden geschlafen hatte, wartete ich die ganze Nacht zu Hause darauf, dass es an die Tür klopfte.
    Als das zögernde Klopfen endlich kam, ging ich hinaus und nahm einen kleinen gewebten Beutel von einer Bettlerin, derenwenige Zähne ganz schief und krumm standen, entgegen. Ich gab ihr eine zweite Münze für ihre Mühe, obwohl sie sagte, sie sei schon gut genug dafür bezahlt worden, nicht in den Beutel zu schauen. Denn wenn sie das
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