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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York
Autoren: Lyndsay Faye
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nachprüfte, entdeckte ich, dass er recht hatte, was nur bewies, dass unser Polizeichef nicht nur intelligent, sondern auch gründlich war und wusste, wann es für das Ansehen der Polizei nützlich war, bestimmte Namen aus dem Dienstplan des Achten Bezirks verschwindenzu lassen. Natürlich wussten einige Leute Bescheid, und ein paar wenige wussten sogar über sehr vieles Bescheid. Aber der gewöhnliche New Yorker hat keine Lust, sich mehr als zwei Wochen mit ein und demselben Fall zu beschäftigen. Alles nahm wieder seinen normalen Lauf: brutal, gierig, hektisch und heimlichtuerisch, nur über verrückte irische Kindermörder wurde weniger geredet.
    Mrs. Boehm und ich kamen zu einem Entschluss. Und ich lud Bird Daly zu einem Ausflug zum Battery Park ein, um ihr dort davon zu erzählen.
    Nach ein paar Stunden und mehreren kleineren Mahlzeiten stand die Sonne tief am Horizont, und wir waren des Umherlaufens müde. Doch das Gras ist dort besser gepflegt als irgendwo sonst auf der Insel, und so nah am Meer zu sein, war angenehm, es war auch noch nicht so unerträglich kalt, wie es schon bald sein würde. Daher setzten wir uns unter eine ausladende Eiche, in der Nähe jener Stelle, an der ich einmal unter einem Haufen Bibeln begraben gelegen hatte, bevor Valentine mich gefunden hatte. Die Erinnerung daran war mir nicht mehr unangenehm.
    Die Zeit schien reif, also machte ich mich ans Werk. Ich erzählte Bird, dass sie in einem von Pfarrer Sheehy gegründeten Kinderheim leben und dort auch zur Schule gehen würde. In eine irisch-katholische Schule. Da Mrs. Boehm und ich selbst nicht sehr gebildet waren und Lernen absolut notwendig war.
    Es lief nicht ganz so gut, wie ich gehofft hatte.
    Nun, in Wahrheit hatte ich damit gerechnet, dass es schlecht laufen würde. Aber ich werde mich nicht weiter über die nächsten Minuten auslassen, in denen sie mich in Grund und Boden redete und sich für alle möglichen Arbeiten anbot, falls ihr Unterhalt zu teuer für uns wäre, wobei sie eine Sprache benutzte, die ein Kind eigentlich nicht kennen sollte. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, sie könnte auch nur einen Moment lang wirklich geglaubt haben, wir wären ihrer Gesellschaft überdrüssig geworden. Bird Daly ist die beste und herzerwärmendste Gesellschaft, die man sich nur vorstellen kann, und am Ende konnte ich sie davon auchüberzeugen. Nun saß sie also da, die Stirn gerunzelt, die Sommersprossen zornig flammend, und starrte auf die Menschenmenge.
    »Ich glaube, das kann ich nicht«, sagte sie schließlich. »Ich denke, ich werde Sie vermissen, Sie und Mrs. Boehm und ... ich schaffe es nicht.«
    »Dann hör dir an, was ich darüber denke. Soll ich es dir sagen?«
    Bird nickte, ihre grauen Augen schimmerten wie Silbermünzen auf dem Grunde eines tiefen Brunnens.
    »Ich denke, du wirst mich nicht vermissen, weil ich dich besuchen werde, sooft du Lust dazu hast. Und manchmal sogar dann, wenn du keine Lust hast, denn ich werde unangekündigt hereinschneien und dich bei deinen Rechenlektionen oder dem Himmel-und-Hölle-Spiel stören. Und du wirst dort bald nie mehr wegwollen, auch nicht, wenn du schon eine große junge Dame bist, weil da so viele andere Kinder sein werden, die dich vermissen werden, wenn die Zeit gekommen ist.«
    Bird machte ein Gesicht, als müsse sie Kieselsteine schlucken. »Wird es dort noch andere ... wird es da Kinder wie mich geben?«
    Ich brauchte zwei Sekunden, bis ich verstand, worauf sie hinauswollte. Als ich begriffen hatte, sah ich mir eindringlich eine vorbeifahrende Kutsche an, als würde ich die Dame der besseren Gesellschaft, die sich da von zwei Pferden mit unmöglichen Federn am Kopf ziehen ließ, kennen. Damit Bird nicht sah, was in meinem Gesicht wirklich vorging.
    »Du meinst Kindermuschen?«, sagte ich laut und deutlich. »Viele. Ganz abgesehen von denen, die ich dort hingebracht habe, Neill, Sophia und die anderen.«
    Meine kleine Freundin nickte. Resigniert, wenn auch nicht glücklich.
    Und so sahen wir den Leuten zu, die an uns vorübergingen. Wir wussten viele Dinge über sie, wir beide. Wir lasen diese Dinge an dem Schmutz ihrer Ärmel ab und dem harten Blick aus Augen wie Pistolenmündungen. Wir wussten Dinge über sie, weil wir sicherer waren, und reicher, wenn wir sie noch vor ihnenwussten. Und wir waren glücklich bei der Vorstellung, dass wir hier auf jeder menschlichen Seite gleichzeitig denselben Buchstaben desselben Wortes lasen.
    Wir sprachen kein Wort dabei.
    Nachdem ich Bird
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