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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte
Autoren: Emilia Miller
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auf seinen Kaffeebecher richtete.
    „Vielleicht morgen“, murmelte er beschämt. „Wie fühlen Sie sich? Haben Sie gut geschlafen?“
    „Sie lenken vom Thema ab, Herr Doktor“, sagte ich schnippisch und bestrafte ihn ein paar Minuten lang mit angepisstem Schweigen. Wie ein Stein“, gab ich schließlich zu, als er zerknirscht genug aussah.
    „Hatten Sie irgendwelche Träume?“
    „Nichts, Doktor, ähm, Ryan, wirklich nichts! Keine Träume, keine Erinnerungen… Ganz schön frustrierend.“
    „Ich weiß, meine Liebe“, sagte er voller Mitgefühl und drückte meine Hand. Ich roch sein Aftershave und verspürte plötzlich ein leichtes Kribbeln zwischen den Beinen. Meine Brustwarzen wurden hart, und auf einmal wurde mir bewusst, wie dünn mein Bademantel war, denn Ryan senkte schon wieder die Augen, lief rot an und schien auf einmal völlig fasziniert von dem Anblick seiner Schuhe. Ich folgte seinem Blick.
    „Die neueste Gucci Kollektion, nicht wahr?“
    Nun glich seine Gesichtsfarbe der einer reifen Tomate, und er stahl sich aus der Affäre, indem er laut jubelte: „Und schon haben wir eine zweite Erinnerung! Sie kennen sich perfekt mit den Modemarken aus!“
    „Es sieht ganz danach aus, Doktor“, gab ich unbeeindruckt zurück. „Ich will jetzt endlich mein Gesicht sehen, besorgen Sie mir bitte sofort einen Spiegel!“
    Er räusperte sich verlegen und wich meinem Blick aus.
    „Ich will mein Spiegelbild sehen, Ryan, wo liegt denn das Problem?“, schrie ich ihn wütend an.
    „Beruhigen Sie sich doch bitte, meine Liebe“, stammelte er, fast schon bettelnd, „verlassen Sie sich einfach auf mich. Sie sind nicht meine erste Amnesie-Patientin, und meine bisherigen Erfahrungen zeigten, dass…“
    „Wissen Sie was?“, unterbrach ich ihn unsanft. „Ich scheiße auf Ihre bisherigen Erfahrungen!“
    Er zuckte kaum merklich zusammen. „Bringen Sie mir sofort einen Spiegel oder ich werde richtig ungemütlich und laut, und das wollen Sie doch nicht? Also, her damit, jetzt, sofort!“
    Unsere Blicke begegneten sich in einem stillen Machtkampf, den ich schließlich gewann.
    „Na gut, Sie haben gewonnen“, sagte er widerwillig und so leise, dass ich mich anstrengen musste, um ihn zu hören. „Sie haben wirklich gewonnen! Ich komme gleich wieder.“ Bevor ich heimlich jubeln konnte, drehte er sich um und fragte mich, wie ich meinen Kaffee haben wollte.
    „Mit viel Milch und wenig Zucker!“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
    Als er wiederkam, versuchte er, den Spieß umzudrehen, um die Macht wieder an sich zu reißen: „Da bin ich wieder, meine Liebe!“, verkündete er feierlich. „Was möchten Sie zuerst tun: Diesen herrlichen, heißen Kaffee genießen oder Ihr Spiegelbild betrachten?“
    Doch ich ließ mich auf sein billiges Spielchen nicht ein.
    „Ich möchte beides gleichzeitig tun!“, verlangte ich erbost. Er stellte sofort den dampfenden Kaffeebecher auf meinem Nachttisch ab und überreichte mir einen Handspiegel. Ich nahm einen großen, genüsslichen Schluck aus dem Becher und hielt den Spiegel genau vor mein Gesicht. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Was ich sah, waren zwei große, fast überdimensional große , graublaue Augen, umgeben von einem Kranz langer, dichter, pechschwarzer Wimpern unter schön geschwungenen Augenbrauen. Die Augenlider waren an der Außenseite etwas hochgezogen, fast wie bei einer Katze. Darunter befanden sich stark ausgeprägte Wangenknochen, eine schmale, leicht nach oben gebogene Nase, volle, sinnliche Lippen und ein rundes, harmonisches Kinn. Alles in einem ergab ein recht erfreuliches Bild, und langsam dämmerte es mir, wieso Doktor Boyle immer so nervös bei meinem Anblick wurde. Mir meiner neuen Macht bewusst, nippte ich entspannt an meinem Kaffee.
    „ Mmhh, schmeckt köstlich!“, murmelte ich, schloss die Augen und fuhr mit der Zunge über meine vollen Lippen.
    „Was empfinden Sie dabei, wenn Sie sich im Spiegel sehen?“, fragte Ryan stockend.
    „Ich empfinde eine Freude darüber, dass ich eine recht heiße Braut bin“, schmunzelte ich, „und darüber , dass Sie es anscheinend genauso empfinden, Doktor!“
    „Natürlich sind Sie eine wunderschöne Frau“, gab er zögernd zu, „und natürlich reagiere ich als Mann dementsprechend auf Ihr Erscheinungsbild. Nichtsdestotrotz bin ich Ihr behandelnder Arzt und Ihr psychologischer Gutachter. Also, lassen Sie uns die Tatsache vergessen, dass Sie eine Frau sind und ich ein Mann bin und uns auf die
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