Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Per Johansson
Vom Netzwerk:
zur Pflege historischen Brauchtums. Auch sein gutes Französisch hatte er in den fünf Jahren nicht einmal gebraucht.
    In »Radio Kristianstad« hatte man einen Kriminalstatistiker aufgetrieben. Alle fünf Jahre geschehe, sagte er, rein rechnerisch betrachtet, in einer südschwedischen Kleinstadt ein Mord. »Man muss von Malmö absehen: Da sind allein im vergangenen Jahr zwölf Menschen erschossen worden, auf offener Straße. Man kann aber Malmö nicht an schwedischen Maßstäben messen. Das ist beinahe schon Kontinent. Man muss Kopenhagen hinzurechnen. Wir sollten, wenn wir von Malmö sprechen, die ganze Metropole am Öresund betrachten, mit zwei Millionen Einwohnern, mit vielen Einwanderern und einem organisierten Verbrechen, sowohl unter den Immigranten wie, nicht zuletzt, bei den Motorradbanden. Aber bisher ist dieses organisierte Verbrechen kaum auf das Land vorgedrungen.« Ronny fand diese Rede arg übertrieben.
    In den kleinen Orten, so der Statistiker weiter, seien Kapitalverbrechen immer noch sehr selten. Da seien die sozialen Strukturen, die Familien, die Vereine, die lokalen Verbindungen noch weitgehend intakt: »Das sind meistens Beziehungstaten, wenn etwas Ernstes passiert. Eifersucht, in der Regel, oder unter Einwanderern aus muslimischen Länder auch die sogenannten Ehrenmorde, leider. Meistens ist dann aber auch der Täter schnell gefunden. Dass man eine Leiche hat und überhaupt nicht weiß, was man davon halten soll, ist sehr, sehr selten.« Ronnys Kollegen von den anderen Zeitungen fanden dies offenbar auch. Alle hatten gehört, dass er am Tatort gewesen war. Und nun riefen sie bei Ronny an, die Konkurrenten von den anderen Regionalzeitungen wie die von der nationalen Presse. Und alle waren zuerst sehr freundlich und dann kurz angebunden, wenn ihnen Ronny sagte, er wisse auch nicht mehr als sie. Und ja, es stimme, die Leiche habe ganz schrecklich ausgesehen, wie in einem Horrorfilm.
    Auf der Stereoanlage lief jetzt Bob Dylans »Ballad of a Thin Man«. Ronny fand das Lied passend: »Because something is happening here / But you don’t know what it is / Do you, Mr. Jones?« Ronny besaß die ganze Platte in einer hochaufgelösten Version, gespeichert auf einer Festplatte. Er besaß Tausende von Schallplatten in hochaufgelösten Versionen. Er besaß auch einen Computer, einen MacBook Pro, mit dem man ein mittelständisches Unternehmen, ein großes musikalisches Museum oder eine Revolution hätte steuern können. Der Computer war mit der Stereoanlage verbunden, mit externen Festplatten und mit dem Mobiltelefon, mit einer »Cloud« und mehreren Sicherheitskopien, die von Servern in fernen Ländern verwahrt wurden. Jahre hatte Ronny an diesem System gearbeitet, in dem man alles mit allem hätte verbinden können – wenn es denn nur etwas gegeben hätte, außer der Musik, das des Verbindens wert gewesen wäre. Aber dieses Computersystem war die einzige teure Sache, die er besaß. Und eigentlich besaß er sie nicht einmal, so viel Geld war er deswegen noch der Bank schuldig.
    Schuhe der Marke »Hutmacher«, las Ronny nun, nachdem er die Homepage des Herstellers gefunden hatte – und so viel Deutsch verstand er –, gebe es nur in wenigen ausgewählten Geschäften. In Wien finde sich ein solches, in München, in Baden-Baden und Berlin, in den Hackeschen Höfen. Sie seien handgenäht und holzgenagelt und bedürften einer besonders sorgfältigen Pflege mit speziellen Emulsionen und Terpentin-Wachs-Cremes. Sogar eigene Schuhputzseminare bot der Hersteller an. In Ronny flammte für einen Augenblick der alte Klassenhass auf: Wer solche Schuhe hat, dachte er, ist entweder ein erbarmungsloser Pedant, oder er putzt sie nicht selber. Die Vorstellung, der Mann habe einen Schuhputzer beschäftigt, gefiel ihm besser, schon aus politischen Gründen, denn dann hätte etwas Gerechtes in seinem Tod gelegen.
    »Ich versteh dich nicht«, sagte Leif Karlsson am Telefon, »du hättest die Kollegen von den anderen Zeitungen doch etwas freundlicher behandeln können. Dann hätten sie dich alle zitiert. Und beim nächsten Mal hätten sie dir geholfen, und Mats hätte stolz auf unsere Zeitung sein können. Jetzt läuft er herum und nennt dich einen Penner.«
    »Wer?«
    »Mats natürlich.«

Fünf
    »Das muss alles raus«, sagte die Inneneinrichterin, eine sehr gepflegte, blondierte Dame von Mitte vierzig in einem schlichten, graublauen Kostüm. Sie beschrieb mit der offenen Hand einen weiten Bogen, um dann, mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher