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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Per Johansson
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ausgestrecktem Zeigefinger, auf einzelne Gegenstände zu zeigen. Richard Grenier hatte die Frau in seinem Loft auf der Lower East Side, 12th Street, Ecke Washington Street, empfangen. Sie sollte seine Wohnung neu gestalten.
    »Alles muss raus: die Anrichte, das Teetischchen, das chinesische Porzellan, der Perserteppich, die Kissen, die beiden Sofas, die Zeitungsstapel, das Bücherregal, der ganze Nippes. Wie sich die Regalböden biegen. Das ist doch keine Studentenbude hier. Warum braucht ein Computermensch wie Sie eigentlich so viele Bücher? Sie wollen doch kein Hipster mehr werden, so einer mit rasiertem Schädel, Bart und dicker Brille, oder, dafür sind Sie doch zu alt? Das ist doch zu albern, oder? Der Kronleuchter – nein, den lassen wir vielleicht hängen. Als Kontrast. Ein bisschen Ironie tut immer gut.«
    Richard Grenier schaute verblüfft nach oben. Der Kronleuchter zählte wie das persische Tischchen und der Rest des Mobiliars zu den Erbstücken seines Großvaters. Dieser war wenige Jahre nach dem Krieg als Franz Greiner aus Deutschland in die Vereinigten Staaten eingewandert und hatte als Pionier der elektronischen Klangerzeugung viel Ehre und ein kleines Vermögen verdient. Richard verzog das Gesicht, als bereite ihm das skandinavische Programm große Schmerzen.
    Richard hatte in der »New York Times« einen Artikel über diese Inneneinrichterin gelesen, in der sie zur Vertreterin des neuen »uber-style« erhoben worden war. Sie hatte sich auf »scandinavian design« spezialisiert. Dieser Stil galt im Augenblick als das Höchstmaß der ästhetischen Verfeinerung. Sie trug einen Namen, den Richard vergessen hatte, der aber auf »-sen« oder »-son« endete. Als er seinem Assistenten, auch einem Schweden, davon erzählte, musste dieser lachen. Er erinnerte seinen Chef an den Film »Fargo« der Brüder Coen, in dem alle Leute so hießen. Die Geschichte spielte ja zum größten Teil in Minnesota, und da gab es zwar einen Autohändler namens Lundegaard und eine Polizistin namens Gunderson und alle möglichen Leute, deren Familienname auf »-son« endete, aber keinen »scandinavian style«.
    »Ich meine das ernst. Im vergangenen Monat habe ich eine Wohnung für Scarlett eingerichtet, ja, für die Schauspielerin, genau so. Und dann natürlich die Wohnung für Brandon Myers, den Koch. Der Raum muss leer wirken, luftig, frei. Der Raum ist alles. Der Raum darf nur enthalten, was als absolut notwendig erscheint. Skandinavisch ist kein Stil, wissen Sie? Skandinavisch ist eine Einstellung dem Leben gegenüber, skandinavisch, das ist rein, klar, nur der Mensch zählt, der einzigartige Mensch. Er ist das, worauf es wirklich ankommt, und die Begegnung mit dem anderen Menschen.« Aber es gab hier offensichtlich keinen anderen Menschen, außer dem Auftraggeber und der Inneneinrichterin. Und der routinierte Tonfall verriet, dass sie diese Sprüche vom einzigartigen Menschen schon oft aufgesagt hatte.
    »Können Sie mir mal sagen, unverbindlich, was das kosten wird, nur dieser Raum?«, fragte Richard. »Geld ist alles.«
    Die Inneneinrichterin ließ noch einmal den Blick schweifen, durch den ganzen Raum, der eigentlich ein Saal war, mit seinen großen, in gußeiserne Rahmen gefassten Fenstern, seinen eisernen Trägern und den Ziegelwänden.
    »Wir sollten zumindest einen Teil der Wände verputzen und weiß streichen. Rohe Ziegel, das ist von gestern, das ist Industrieromantik, darüber sind wir hinaus, das hatten wir in den achtziger Jahren. Aber ein paar Sessel von Mats Theselius, die würden hier gut hineinpassen, freistehend. Die Dielen können wir lassen. Aber wir sollten sie abziehen. Dann nicht lackieren, sondern ölen, mit weißem Pigment, damit das Holz eine helle, nicht mehr nachdunkelnde Oberfläche bekommt, auf der man dann geht wie auf Seide. Ein großes Sofa von Hay, der Esstisch von Bruno Mathsson, die Stühle von Arne Jacobsen, die Leuchten von Louis Poulsen. Also mit zweihundertfünfzigtausend kämen wir wohl hin, unverbindlich.«
    »Nun ja, wenn man dann dem anderen Menschen begegnet.« Die Inneneinrichterin verstand die Ironie nicht.

Sechs
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. »Richard, du wirst nach unten kommen müssen«, sagte Sally, seine Sekretärin, »es gibt wohl eine Attacke bei American National. Chuck hat angerufen. Er klang sehr beunruhigt.«
    »Ich bin in einer Minute unten«, sagte Richard ins Telefon. Und, zur Inneneinrichterin gewandt: » All right. Machen Sie mir einen
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