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Der Stundenzaehler

Der Stundenzaehler

Titel: Der Stundenzaehler
Autoren: Mitch Albom
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Name ist Dor.«
    Â»Und er wurde für uns auf die Erde geschickt?«
    Â»Auch für sich selbst.«
    Â»Stirbt er?«
    Â»Ja.«
    Â»Sterben wir?«
    Â»Ja.«
    Der Alte bemerkte die Angst in den Augen der beiden, und sein Gesicht wurde weich. »Alle, die geboren werden, müssen sterben.«
    Victor blickte auf Dor, der nahezu bewusstlos war, und verstand, dass er sich in dem Mann geirrt hatte. Doch er hatte sich so oft geirrt – auch was die Taschenuhr anging, die Dor nicht wegen ihres Werts, sondern wegen des Familienbilds auf dem Gehäuse ausgesucht hatte. Dor hatte gehofft, dass Victor die Kostbarkeit seiner Beziehung mit Grace begreifen würde, bevor es zu spät war.
    Â»Warum wurde er bestraft?«, fragte Victor.
    Â»Er wurde nie bestraft.«
    Â»Aber die Höhle? All diese Jahrtausende?«
    Â»Das war eine Gnade.«
    Â»Gnade?«
    Â»Ja. Denn so lernte er das Leben schätzen, das er früher gehabt hatte.«
    Â»Aber er hat so lange dafür gebraucht«, wandte Sarah ein.
    Der Alte entfernte einen Ring von der schmalsten Stelle des Stundenglases.
    Â»Was ist lange?«, fragte er.
    Er steckte den Ring an Dors Finger.
    Ein einziges Sandkorn löste sich aus Dors Hand.
    Â»Was wird nun mit ihm geschehen?«, fragte Sarah.
    Â»Er wird seine Geschichte vollenden. So wie ihr auch.«
    Dor lag reglos da, mit geschlossenen Augen. Seine Hände ruhten am Boden.
    Â»Ist es zu spät?«, flüsterte Sarah.
    Der Alte nahm das leere Stundenglas und drehte es um. Hielt das einzelne Sandkorn über die Öffnung.
    Â»Es ist niemals zu spät oder zu früh«, antwortete er.
    Dann ließ er das Sandkorn los.

79
    Wir bemerken die Laute der Welt nicht – bis sie zum Stillstand kommt. Bewegt sie sich dann wieder, meint man, ein ganzes Orchester zu vernehmen.
    Donnernde Wellen. Pfeifender Wind. Zwitschernde Vögel.
    Ãœberall im Universum begann die Zeit erneut zu fließen, und die Natur jubilierte.
    Dor schwindelte, und sein Körper landete auf hartem Untergrund. Hustend erwachte er auf staubiger Erde. Die Sonne stand hoch am Himmel und verströmte gleißendes Licht.
    Dor wusste es sofort.
    Er war zuhause.
    Mühsam rappelte er sich hoch.
    Vor ihm ragte Nims Turm in die Wolken auf. Der Pfad unter Dors Füßen würde ihn dorthin bringen.
    Dor holte tief Luft und wandte sich dann in die andere Richtung.
    Er hatte eine Chance bekommen, die sonst niemandem vergönnt ist – und er zögerte nicht.
    Dor veränderte die Geschichte seiner Fußspuren.
    Er rannte zurück zu Alli.
    Schweißüberströmt und hustend lief er, ohne innezuhalten. Die Verzweiflung trieb ihn voran.
    Er wusste, dass die Anstrengung sein Ableben beschleunigen würde, doch Dor schonte sich nicht.
    Ein Satz kam ihm in Erinnerung – die Zeit rast –, und er sprach ihn immer wieder, während er über die Hügel zur Hochebene rannte.
    Erst als ihm die Felsen bekannt vorkamen, als er die vertraute Schilfgrashütte erblickte, lief er langsamer – wie es ein Mensch tut, der sich dem ersehnten Ziel nähert und der dennoch unsicher ist, ob er dort die Erfüllung seiner Wünsche finden wird.
    Will er es überhaupt wagen, es zu sehen?
    Das, wovon er so lange geträumt, was ihn eine Ewigkeit aufrechterhalten hat?
    Dor atmete schwer. Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper.
    Â»Alli?«, rief er.
    Er trat hinter die Hütte.
    Dort lag Alli auf einer Decke.
    Â»Mein Liebster«, flüsterte sie.
    Ihre Stimme war so, wie er sie immer in Erinnerung behalten hatte. Und keine der Abermillionen Stimmen aus der Höhle hatte ihn jemals so berührt.
    Â»Ich bin hier«, sagte er und ging neben ihr auf die Knie.
    Sie sah sein Gesicht.
    Â»Du bist krank.«
    Â»Nicht mehr als du.«
    Â»Wo warst du?«
    Dor wollte antworten, bekam jedoch seine Gedanken nicht zu fassen.
    Die Bilder verschwammen.
    Ein alter Mann?
    Ein junges Mädchen?
    Er befand sich nun wieder auf seinem eigenen Weg, und die Erinnerung an sein Leben in der Ewigkeit verblasste.
    Â»Ich habe versucht, deinem Leiden Einhalt zu gebieten«, antwortete er.
    Â»Wir können nicht aufhalten, was der Himmel beschieden hat«, erwiderte Alli.
    Sie lächelte matt.
    Â»Bleib bei mir.«
    Â»Das tue ich. Für immer.«
    Er berührte ihr Haar, und sie wandte ihm den Kopf zu.
    Â»Schau«, flüsterte sie.
    Die Sonne ging unter, und der
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