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Der Strom, der uns traegt

Der Strom, der uns traegt

Titel: Der Strom, der uns traegt
Autoren: Rinus Spruit
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die Milch immer weniger, die Bäuerin gibt uns immer weniger Milch!« Später sind wir dahintergekommen, dass der Vater auf dem Weg schon von der Milch trank. Weil er Schwierigkeiten mit dem Magen hatte.
    Wir arbeiteten wie die Verrückten, wir wollten die Scheunen so schnell wie möglich fertig bekommen, dann würden wir nach Hause fahren können.
    Der Bauer sagte einmal zu mir: »Jan, Junge, schickdeinen Vater doch nach Hause, der Mann ist krank, das sieht man doch, was soll das noch werden, Junge. Schick deinen Vater nach Hause!« Wir haben den Vater dann so weit bekommen, dass er nach Hause gefahren ist. Der Bauer hat ihn mit dem Auto zum Zug gebracht.
     
    Es war sechs Tage später. Wir arbeiteten gerade am Dach der dritten Scheune, als ein Telegramm kam. Ein Telegramm vom Vater. »Jan und Merien nach Hause kommen.«
    Merien und ich sind mit dem Zug nach Hause gefahren. Bram ist dageblieben, um die letzte Scheune fertig zu machen.

 
    August 1994
     
    Vater sitzt in seinem bequemen Stuhl am Fenster. Über seinem Kopf hängt ein kleines Mikrofon, das ich an einer Schreibtischlampe festgemacht habe. Ich stelle Vater Fragen über früher, ich möchte etwas festhalten von diesem primitiven Reetdachdeckerleben. Jetzt, wo es noch möglich ist. Seine Gesundheit lässt nach, er wird immer kurzatmiger. Vater arbeitet gut mit, wenn es ihm reicht oder er müde wird, sagt er: »Jetzt reicht’s aber«, und dann hören wir auf.
    Wir kommen gut voran, wir machen das schon seit einigen Wochen. Mutter hat Tee gekocht und läuft noch ein bisschen herum. Sie hält sich zurück, nur selten fügt sie etwas hinzu, wenn sie meint, Vater hätte etwas vergessen zu erwähnen.
    Vater erzählt von den frostfreien Kartoffelscheunen auf dem Amsterdamer I J-Polder . »Wir waren noch nie so weit von zu Hause weg gewesen«, sagt er. »Und wir hatten Pech. Der Vater war schon nach Hause gefahren,er war krank geworden, es waren die Nerven. Wir arbeiteten an der letzten Kartoffelscheune, als dieses Telegramm kam. Ein Telegramm vom Vater. ›Jan und Merien nach Hause kommen.« Merien und ich sind dann nach Hause gefahren, Bram blieb zurück, um die Arbeit fertig zu machen.«
    Er hält einen Moment inne.
    »Und dann, Vater, was ist dann passiert?«
    Vater sagt nichts. Er möchte etwas sagen, schüttelt dann aber niedergeschlagen den Kopf. Macht eine wegwerfende Handbewegung.
    »Hör auf«, sagt er, »hör auf damit.«
    Und dann wird er still.
     
    »Das weißt du doch«, sagt Mutter, »dann ist doch dieser schreckliche Unfall passiert. Der Unfall mit Merien.«

ZWEITER TEIL

ONKEL MERIEN
    Die Sache mit Onkel Merien. Dieser Unfall. Er hat Vater nie mehr losgelassen. Mutloses Kopfschütteln, Seufzer.
    »Er denkt wieder an Merien«, sagte Mutter dann. Wir, die Kinder, haben mit Vater nie über Meriens Unfall gesprochen. Wir hüteten uns davor, diesen Erwachsenen-Kummer anzurühren. Was wir vom Unfall wussten, wussten wir von Mutter. Vater konnte nicht darüber sprechen.
     
    Was war passiert? Opa, gerade zurück von diesem verfluchten Polder, hatte einen schönen Auftrag in Rilland angenommen. Dort sollte ein großes neues Bauernhaus ein Reetdach bekommen. Der Bauer hatte es eilig, wurde ungeduldig. »Wenn ihr nicht bald damit anfangt«, sagte er zu Opa, »lasse ich einen Reetdachdecker aus Brabant kommen.« Aber Vater, Onkel Bram und Onkel Merien arbeiteten noch an den frostfreien Kartoffelscheunen. Opa brauchte nicht lange zu überlegen. »Janund Merien nach Hause kommen«, telegrafierte er nach Amsterdam.
    Gut gelaunt waren Vater und Onkel Merien an jenem Samstagmorgen im Juli von ihrem Elternhaus aus losgefahren, nach Rilland. Onkel Merien hatte gerade seinen Führerschein bekommen und fuhr, Vater saß auf dem Soziussitz. Sie waren so stolz auf ihr neu erworbenes gebrauchtes Gillet-Motorrad. Wie viel schneller ging es doch voran als mit dem Fahrrad! Sie waren schon kurz vor Rilland und näherten sich einer Kreuzung. Onkel Merien fuhr so langsam auf die Kreuzung zu, dass der Motor anfing zu spucken und abzusaufen drohte. »Los, gib Gas!«, rief Vater hinter Onkel Meriens Rücken. »Los, gib Gas!« Um zu verhindern, dass der Motor ausging. Onkel Merien gab Gas und wurde von einem Auto erfasst, das von rechts kam. »Los, gib Gas!« Diese drei Worte. Sie würden Vater für den Rest seines Lebens verfolgen. Ein Schuldgefühl, das ihn nie mehr verlassen würde.
    Onkel Merien wurde ins Krankenhaus gebracht, er hatte das Schienbein gebrochen. Vater tat
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