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Der Strom, der uns traegt

Der Strom, der uns traegt

Titel: Der Strom, der uns traegt
Autoren: Rinus Spruit
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bestehen. Zuerst eine Schicht Stroh, darüber eine Schicht Asphalt und zum Schluss sollten wir es mit einem dreißig Zentimeter dicken Reetdach decken. So wollte der Bauer seine Kartoffelscheunen haben. So hatte der Vater es mit dem Bauern abgesprochen.
    »Wie viel wird mich das kosten?«, hatte der Bauer den Vater gefragt, dort in dem Rotterdamer Hotel. Kam es, weil der Vater so weit von zu Hause weg war, oder waren es doch die zwei Schnäpse? Er nannte einen lächerlich niedrigen Betrag. Er machte keine richtigen Absprachen, er fand alles prima. »Ja, der Herr, natürlich, der Herr, kommt in Ordnung, der Herr.«
     
    So geschah es, dass wir an einem Montagmorgen im Juli zu viert auf dem Amsterdamer I J-Polder standen. Der Vater, Bram, Merien und ich. Wir waren noch nie so weit von zu Hause weg gewesen. Mit dem Zug waren wir nach Amsterdam gefahren, der Bauer hatte uns vom Bahnhof abgeholt. Unser Werkzeug hatten wir schon mit einem Boten vorausgeschickt.
    Der Vater hatte es so organisiert, dass nachts eine Nichte bei der Mutter schlafen würde, sodass sie nicht allein war.
    Kaum waren wir da, fing das Pech schon an. Schilfrohr und Material sollten mit einem Schiff aus dem Biesbosch hergebracht werden, aber der Schiffer hatte dem Bauern ein Telegramm geschickt, sein Motor war verreckt und er musste nach Dordrecht zurückgeschleppt werden. Da standen wir also. Wir konnten nichts tun, als zu warten. Warten, ohne arbeiten zu können. Der Vater wurde immer nervöser. Ihm wurde klar, dass seine Rechnung völlig falsch war.
    Drei Tage später kam das Schiff dann doch noch. Wir konnten anfangen.
     
    Die schweren Pfosten waren viel zu lang, das sahen wir sofort. Wir konnten wählen, entweder ein Stück absägen oder tiefere Löcher graben. Das Graben war absolut unmöglich. Sobald man etwas tiefer grub, wurde der Boden steinhart, wie getrockneter Lehm. Also mussten wir sägen. Aber der Vater hatte nur zwei Sägen mitgeschickt und die waren stumpf. Welche Armut, welches Elend. Und das bei einer mörderischen Hitze. Ich habe mich innerhalb einer Woche buchstäblich mager gearbeitet.
     
    Der Bauer beobachtete uns ständig. Nach tagelanger Arbeit hatten wir die sechzehn Pfosten in die Erde gesetzt und angefangen, die Zwischenräume mit Strohballenauszustopfen. Manchmal entdeckte der Bauer eine Lücke zwischen zwei Strohballen, dann rief er den Vater herbei. »Nennst du das dicht?«, sagte er und steckte seinen Arm durch die Lücke. »Es kommt in Ordnung, der Herr, es kommt in Ordnung«, sagte der Vater dann und stopfte etwas Stroh in die Lücke.
    Als wir am Dach arbeiteten, war der Vater so nervös geworden, dass er anfangen wollte zu pfuschen. »Leg das Stroh einfach lose drauf«, sagte er, »es kommt sowieso noch eine Schicht Asphalt drauf.« Das konnten wir ihm ausreden. Der Vater war nicht mehr er selbst.
    Nach anderthalb Wochen hatten wir die erste Scheune fertig.
     
    Wir schliefen in einer kleinen Scheune zwischen Kartoffelsäcken und leeren Kisten. Es gab auch eine Ratte, und zwar eine große. Sie wühlte zwischen den Kisten und nachts kam sie so nahe, dass wir Angst hatten, sie würde anfangen, unsere Ohren anzunagen. Wir haben ihr eine Falle gestellt und haben sie so gefangen. Sie war riesig, ich hatte noch nie so eine große Ratte gesehen. Zwei Tage später fanden wir ein Nest mit toten jungen Ratten.
     
    Kaum hatten wir mit der zweiten Scheune angefangen, als der Bauer aufgeregt angelaufen kam. »Kommt«, sagte er, »meine Kartoffelscheune steht ganz schief!« Wir gingen hin und sahen, dass er recht hatte. Wegen desDauerregens waren die Balken instabil geworden und die Scheune hatte sich zur Seite gesenkt. »Dafür bezahle ich nicht«, sagte der Bauer, »für eine Kartoffelscheune, die schief hängt.« Daraufhin fuhr Bram nach Zaandijk und mietete eine Seilwinde. Wir haben dann ein paar Pfähle in den Boden gerammt und mit der Seilwinde die Scheune ganz langsam gerade gezogen. Um zu vermeiden, dass sie sich wieder neigte, haben wir die Seiten mit Lehm abgestützt. Alles in allem waren wir drei Tage damit beschäftigt.
    Der Vater bekam Probleme mit dem Magen. Er sah ganz grau aus vor Elend.
     
    Warme Mahlzeiten gab es nicht. Wir aßen jeden Tag Brot mit Käse oder Speck, das kauften wir auf dem Markt in Zaandijk. Am Sonntag bekamen wir von der Bäuerin Suppe. Kaffee holte der Vater jeden Morgen bei der Bäuerin, mit einem Kännchen Milch. Aber wir bekamen immer weniger Milch. Ich sagte noch zu Merien: »Wieso wird
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