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Der Strom, der uns traegt

Der Strom, der uns traegt

Titel: Der Strom, der uns traegt
Autoren: Rinus Spruit
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nicht ganz ausgebrannt. Es braucht nur kurz ins Feuer gelegt zu werden, und schon glüht es und hält wieder ein paar Stunden.
    So geht der Nachmittag vorbei. Die Mutter sitzt da und strickt lange Strümpfe für die Männer. Das Klappern der Stricknadeln mischt sich mit dem Ticken der Pendeluhr. Manchmal sieht die Mutter auf der Straße jemanden vorbeilaufen oder vorbeifahren. Sie kennt jeden, weiß sogar von allen, wo sie hinmüssen.
    Die Mutter sitzt und seufzt und strickt. Und wartet.
    Wenn wir abends nach Hause kommen, haben wir den ganzen Tag gearbeitet, bei Wind und Wetter, und sind anschließend noch heimgeradelt. Dann sind wir so schlapp wie Spüllappen und haben einen Mordshunger. Nun erwarten uns die aufgewärmten Reste, die die Mutter für uns aufgehoben hat. Kartoffeln mit Speck und schlaffer Salat, mit kochendem Essig übergossen. Wir essen zu viert aus einer Pfanne, der Vater, Bram, Merien und ich. Wir langen fröhlich zu. Denn wenn man halb verrückt ist vor Hunger, schmeckt einem alles.

DER VATER SIEHT, WIE DIE MUTTER KOMMT
    Der Vater schaut aus dem Fenster. In der Ferne sieht er die Mutter kommen, sie war auf dem Basar der Frauenvereinigung in ’s-Heerenhoek. Schweigend schaut er zu, wie sich die Mutter nähert. Er schüttelt den Kopf. Er sieht, dass es der Mutter wieder nicht gut ist. Er sieht es an der Art, wie sie geht. »Ich seh’s ihr an«, sagt er tonlos, »die nächsten sechs Wochen ist sie wieder krank.«
    Sobald die Mutter hereinkommt, lässt sie sich in einen Stuhl fallen. »Es ist mir nicht gut«, ist das Einzige, das sie keuchend hervorbringen kann.
    Und der Vater? Der Vater sagt nichts. Er kniet sich vor sie auf den Boden und schnürt ihr die Schuhe auf.

KEIN BÖSES WORT ÜBER DIE MUTTER
    Kein böses Wort über die Mutter.
    Die Mutter war eine gute Mutter.
    Wir haben die Mutter geliebt.

DER PFARRER
    Eines Nachmittags, die Mutter war alleine zu Hause, kam der Pfarrer zu Besuch. »Frau Spruit«, sagte der Pfarrer, »eigentlich komme ich wegen Ihres Mannes. Es stört mich, dass er während der Predigt immer schläft. Könnten Sie ihn bitten, während des Gottesdienstes wach zu bleiben? Wirklich, es stört mich sehr.« Die Mutter nahm den Vater in Schutz. »Herr Pfarrer«, sagte sie, »Sie wissen doch, er arbeitet die ganze Woche von morgens früh bis spät in die Nacht bei Wind und Wetter. Und wenn es dann sonntags warm ist in der Kirche, wird er schläfrig und die Augen fallen ihm zu.« Das musste der Pfarrer doch begreifen. Aber zu mir sagte die Mutter: »Jan, du setzt dich in der Kirche neben deinen Vater, du musst ihn wach halten.«
    Am nächsten Sonntag in der Kirche ließ ich den Vater nicht aus den Augen. Bis zur Bibellesung blieb er wach, aber die Predigt hatte kaum begonnen, da fielen ihm auch schon die Augen zu. Ich stieß ihm den Ellenbogenfest in die Seite und zischte: »Nicht schlafen!« Er schreckte hoch und sah mich an, so voller Wut, voller vernichtender Wut, dass ich furchtbar erschrak und mir auf der Stelle vornahm, so etwas nie wieder zu tun.
    Und so ging der Vater jeden Sonntag in die Kirche, um dort zu schlafen. Denn wenn man die ganze Woche bei Wind und Wetter gearbeitet hat und es dann warm ist in der Kirche   …

SCHWEINEMANN
    Der Vater war ein Schweinemann, Schweine zu halten war seine Lust und sein Leben. Hinter dem Haus hatten wir einen Schweinestall mit einem Reetdach. Der Boden bestand aus dicken Brettern. Es gab massenhaft Ratten. Den Ratten ging es wunderbar, sie saßen schön warm unter den Brettern und konnten vom Schweinefutter mitessen.
    Abends, wenn es dunkel war, gingen Merien und ich ab und zu in den Schweinestall, ich mit einer Taschenlampe und Merien mit einem Gewehr. Wenn ich eine Ratte sah, blendete ich sie mit der Taschenlampe, sodass sie kurz innehielt und Merien anlegen und schießen konnte.
    Wir hatten sieben oder acht Schweine. Es waren sehr große Schweine, manche wogen zweihundert Kilo. Im November schlachtete der Vater ein Schwein und im Februar noch eins. Die Schweine, die übrig blieben, verkaufte er.
     
    Am Schlachttag gibt es große Aufregung. Sogar die Mutter ist ganz gegen ihre Gewohnheit früh aufgestanden. Nur Bram ist zum Dachdecken gegangen.
    Das Schwein bekommt einen Strick um eine Vorderpfote und wird zum Schlachtplatz geführt, zwischen unserem Haus und der Scheune. Das Tier sträubt sich immer, als wüsste es, was es erwartet. Der Vater packt sein Messer und versetzt ihm fachmännisch den tödlichen Halsstich. Blutend
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