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Der Strom, der uns traegt

Der Strom, der uns traegt

Titel: Der Strom, der uns traegt
Autoren: Rinus Spruit
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er hat sich nie bei Bram dafür bedankt. Der Vater und Bram, das passte nicht zusammen. Und es wurde auch nie besser.
    In Borculo hatte Bram gelernt, Strohdocken zu machen. Strohdocken sind Stränge aus Roggenstroh. Unter jeden Dachziegel wurden Docken gelegt, um das Dach gegen Kälte, Regen und Schneegestöber zu schützen. In Seeland war der Gebrauch von Docken völlig unbekannt. Bram erklärte mir, wie er sich die Kunst der Herstellung von Strohdocken angeeignet hatte. Es war ein bestimmter Griff, eine Fingerfertigkeit. Man nahm in jede Hand etwas Stroh mit den Ähren nach oben. Und diese Bündel drehte und knüpfte man dann so zusammen, dass ein V-förmiger, fester Strang entstand. Brams Chef, Jan Braskamp, sagte mal zu ihm: »Bram, wir werden jetzt eine Stunde lang Docken drehen, ohne zu reden, und dann zählen wir, wie viele wir gemacht haben.« Er stellte zwei Stühle in den Kuhstall und hängte seine Taschenuhr an einen Nagel am Balken. Nach einer Stunde zählten sie. Bram hatte zweiundvierzigDocken fertig, Braskamp vierundfünfzig. »Weiter üben«, sagte Braskamp, »dann drehst du in ein paar Wochen ebenso viele wie ich.«
    Daheim in Seeland wollte Bram die seeländischen Bauern dazu bringen, ebenfalls Docken zu benutzen. Er machte sich sofort daran, einen großen Vorrat anzulegen, der Vater schaute kopfschüttelnd zu. Bram setzte eine Anzeige in das ›Zeeuwsch Dagblad‹. »Eine Neuheit für Seeland. Prima Strohdocken für hohle Dachziegel zu kaufen. Kein eindringendes Schneegestöber mehr. Können auch aus eigenem Stroh hergestellt werden. Günstiger Preis. Empfohlen von Abr. Spruit, Dockenmachermeister und Reetdachdecker in Nieuwdorp bei Goes.«
    Doch sosehr Bram sich auch bemühte, die seeländischen Bauern wollten nicht anbeißen. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Sage und schreibe ein einziger Bauer wollte Docken unter die Dachziegel seines Kuhstalls. Mehr nicht. Bram blieb auf seinen Docken sitzen. Später haben wir ihn ab und zu noch damit aufgezogen, Bram und seine Docken.

DER VATER SCHNEIDET BROT
    Der Vater kam morgens immer als Erster aus dem Bett. Im Sommer schwang er schon um vier Uhr morgens seine Beine über die Mutter hinweg und kletterte aus dem Alkoven. Barfuß lief er zum Petroleumkocher und setzte Wasser für Tee auf. Das musste als Erstes passieren, denn es würde lange dauern, bis das Wasser kochte. Erst dann zog er seine Strümpfe an, lange warme, von der Mutter gestrickte Strümpfe, die ihm bis zu den Knien reichten. Der Vater hatte so viel zu tun, dass er sich nicht die Zeit gönnte, die Schnüre an den Beinen seiner langen Unterhose festzuziehen. Mit großen zornigen Schritten lief er durch das Zimmer, und wenn wir junge Katzen hatten, rannten ihm diese wie verrückt hinterher und spielten mit den Schnüren, die über den Boden schleiften. Sobald der Vater Tee gemacht hatte, weckte er auch uns. Wenn wir hinunterkamen, war er schon eifrig dabei, Brot zu schneiden.
    Ach ja, was hatte er morgens viel zu tun. Er musstedie Brote für vier Männer fertig machen, für den ganzen Tag. Von einem Vier-Pfund-Laib, den er an die Brust gedrückt hielt, schnitt er in hohem Tempo Dutzende von Scheiben ab. Brot schneiden, das konnte der Vater. Er hatte ein sehr scharfes Messer, dünn und abgenutzt, Tausende Brotscheiben hatte er damit schon geschnitten. Seine Weste zeigte die Spuren des jahrelangen Brotschneidens, sie war voll zahlloser kleiner Schnitte. Er bestrich die Brote mit Schmalz und streute noch einen Löffel Zucker darüber. Dann klappte er die geschmierten Brote zusammen und machte daraus vier Stapel. Jeden Stapel wickelte er in ein Tuch und legte ihn in den Brotsack.
    Die Mutter blieb im Alkoven, noch halb verschlafen, aber doch wach genug, um zu beobachten, was um sie herum geschah. Wenn der Tee fertig war, rief sie: »Jaaan, gib mir eine Tasse Tee, meine Kehle ist ganz trocken!« Wenn wir fertig waren und loszogen, rief sie uns aus dem Alkoven hinterher: »Denkt dran, die Hintertür zuzumachen. Gestern habt ihr die Hintertür offen gelassen. Die Hühner sind reingekommen und haben die Katzenschüssel leer gefressen. Und auf den Boden geschissen! Denkt dran, dass ihr die Hintertür zumacht!«
    So fuhren wir zur Arbeit, der Brotsack baumelte am Lenker.

SEPARATE TÖPFCHEN
    Wenn wir alle zusammen zum Abendessen am Tisch saßen, standen neben dem Teller der Mutter immer separate Töpfchen. Denn die Mutter war kränklich und vertrug das normale Essen nicht. Sie aß Rindfleisch
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