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Der Strom, der uns traegt

Der Strom, der uns traegt

Titel: Der Strom, der uns traegt
Autoren: Rinus Spruit
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Medizin.
Meistergut
nannte die Mutter das Zeug. Es war ein rosafarbener Saft. Doktor Luijks schickte die Mutter zur Untersuchung ins Krankenhaus. Sie blieb dort einige Tage, aber die Ärzte konnten nichts finden. Daraufhin sagte Doktor Luijks: »Ich komme nicht mehr, ich kann dich nicht gesund machen.« Die Mutter ging dann zu Doktor Gelderblom in Nieuwdorp. Der verschrieb ihr einen anderen Saft. Einen Saft mit einer anderen Farbe, das schon. Aber gesund machen konnte er sie auch nicht.

STURM
    »Ach, was für ein Sturm!«, schrie die Mutter und stieß angstvolle Schreie aus, wenn der Wind ums Haus heulte und die Dachziegel klapperten. »Mädchen, halt den Mund«, sagte der Vater dann immer strafend, »der Sturm weht Brot in den Kasten!« Denn ein Sturm bedeutete Arbeit für uns.
    Ein schwerer Sturm verursachte so viel Schaden an den Reetdächern, dass wir manchmal monatelang Arbeit hatten. War eine Scheune bis unter das Dach voller Getreide, hielt sich der Schaden in Grenzen, aber in leeren oder halb leeren Scheunen konnte der Wind viel anrichten. Er schiebt und zieht wie ein Riese, sucht sich einen Weg hinaus und hinterlässt eine Spur der Vernichtung.
    Wenn es in einer Nacht einen schweren Sturm gegeben hatte, kamen am Tag darauf viele Bauern zu uns. Der Sturm hatte ein Loch in ein Dach gerissen und das musste repariert werden, möglichst schnell, denn dasGetreide, das in der Scheune lagerte, würde nass werden und verfaulen.
    Manchmal klopften sie schon um fünf Uhr morgens ans Fenster. Jeder Bauer wollte sofort Hilfe. Der Vater hörte sich jeden Bauern geduldig an und sagte dann:
»Morgen, morgen komm ich.«
Das sagte er zu jedem Bauern. Und so gingen sie alle zufrieden nach Hause.

DOCKEN
    Bram war Reetdachdecker mit Herz und Seele, er arbeitete gern und schwer. Er hat für den Vater viel Geld verdient, doch nie hat er dafür ein anerkennendes Wort gehört. Der Vater und er kamen nicht gut miteinander aus. Immer hatten sie Streit. »Bram hat
fliegende Kenntnisse
«, sagte der Vater manchmal, und damit meinte er, dass Bram zuweilen seltsame Ideen hatte und verrückte Sachen sagen konnte. Weil der Vater mit Bram nicht gut zurechtkam, arbeitete er immer mit Merien zusammen, sodass ich mit Bram mitmusste. Für mich war das nicht gut, denn Bram war so besessen von seinem Handwerk, dass er abends nicht heimgehen wollte. Hier noch ein bisschen Schilfrohr hineinschieben, dort noch einen Nagel einschlagen, er machte einfach immer weiter. Deshalb war es meist sieben Uhr vorbei, bis wir heimgingen, und dabei waren wir morgens schon vor sechs aufgebrochen.
    Während der Mittagspause blätterte Bram bei einemBauern mal im »Bauernhof« und las eine Stellenanzeige: »Reetdachdeckerbetrieb in Borculo sucht selbstständig arbeitenden Reetdachdecker.« Das war etwas für Bram, es war eine Chance, vom Vater wegzukommen. In Borculo herrschte großer Mangel an Reetdachdeckern. Ein Wirbelsturm hatte im Jahr davor, 1925, eine schreckliche Verwüstung angerichtet. Es hatte vier Tote gegeben und kaum ein Haus oder ein Bauernhof war unbeschädigt geblieben. Bram antwortete auf die Annonce und wurde genommen, für fünfunddreißig Cent pro Stunde und neun Gulden monatlich für Kost und Logis. Ich sehe Bram noch losziehen, mit einem grauen Jutesack auf dem Rücken (Taschen oder Koffer besaßen wir nicht) und darin ein paar Werkzeuge und Speckbrote für unterwegs. Bram gab uns die Hand, aber als er sich vom Vater verabschieden wollte, drehte der ihm den Rücken zu. Der Vater war nicht einverstanden gewesen, dass Bram wegging, er konnte ihn selbst gut gebrauchen. Als Tante Siene später davon hörte, tadelte sie den Vater. »Wenn wir eine Kuh verkaufen, verabschieden wir uns doch auch von ihr«, sagte sie.
    Bram blieb zwei Jahre lang in Borculo. Eines Abends, wir lagen schon im Bett, hörten wir ein Rumoren an der Hintertür. Dort stand Bram, mit demselben grauen Jutesack, mit dem er losgezogen war.
     
    Durch seine Erfahrung in Borculo war Bram ein noch besserer Reetdachdecker geworden. Er hatte dort andereTechniken gelernt. So ließ er durch einen Boten einen Dachschemel aus Borculo kommen. Wir hatten so etwas noch nie gesehen, es war eine Art Leiter mit zwei Sprossen und einem großen Haken. Man konnte den Dachschemel mit dem Haken am Reetdach befestigen und dann darauf sitzen oder stehen. Merien war ein guter Handwerker und stellte gleich zwei weitere Exemplare her. Sie haben uns sehr geholfen, das musste auch der Vater zugeben, aber
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