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Der Strom, der uns traegt

Der Strom, der uns traegt

Titel: Der Strom, der uns traegt
Autoren: Rinus Spruit
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mehr drin. Dann kann ich morgen früh wieder Öl holen!«
    Alles dreht sich um die Mutter, trotzdem ist der Vater der Herr im Haus.

DIE RATTENSCHEUNE
    Vierzehn Jahre war ich schon alt, aber Reetdachdecken konnte ich noch immer nicht. An Tagen, an denen ich nicht für die Mutter sorgen musste und mit zum Decken durfte, musste ich für den Vater, Bram und Merien Schilfrohr aufs Dach schleppen. Aber das würde sich jetzt ändern. Der Vater hatte einen großen Auftrag auf der Insel Tholen angenommen. Auf einem Bauernhof sollte ein neues Dach mit Schilfrohr gedeckt werden, wir würden wochenlang Arbeit haben.
    »Jan«, sagte der Vater, »du darfst mit nach Tholen. Dort darfst du Reetdachdecken, Junge, dort wirst du lernen, wie es geht!«
    Sobald es hell wurde, zogen wir los, auf alten Fahrrädern, beladen mit Werkzeug, Reisig und Weidenruten. Der Vater hatte am Lenker seines Fahrrades einen Beutel mit Brot, Eiern und Speck. Merien hatte sogar ein Federbett für zwei Personen dabei, das er mit elastischen Bändern auf dem Gepäckträger festgebundenhatte. Wir waren gerade losgefahren, als wir plötzlich von einem Gewitter überrascht wurden. Wir suchten bei Heinkenszand Schutz unter einer Linde, waren aber schon völlig durchnässt, das Wasser rann aus Meriens Federbett. Wir radelten weiter nach Yerseke, dort setzten wir mit einem kleinen Boot nach Tholen über. Es war ein sehr kleines Boot, eine Art größeres Ruderboot mit einem Motor. Es lag sehr tief im Wasser und schaukelte ziemlich. Dem Vater war es nicht ganz geheuer, er starrte ängstlich vor sich hin und traute dem Ganzen nicht. Wir waren schon ein ziemliches Stück von der Küste entfernt, als der Schiffer plötzlich umkehrte, weil er am Ufer jemanden stehen sah, der auch noch mitwollte. Es war ein Mann, der mit Seilen hausierte. Als er mit seinem Fahrrad und seiner Ware in das Boot gestiegen war, lagen wir noch tiefer. Der Vater hatte sich ganz hinten ins Boot gesetzt. Er hielt sich mit ausgestreckten Armen an beiden Bordkanten fest und klammerte sich daran, als könnte er dadurch das Boot vor dem Sinken retten. Wir lagen so tief, dass seine Fingerspitzen vom Wasser umspült wurden.
    Als wir auf Tholen den Bauernhof erreichten, schaute der Vater sich um, gab uns einige Anweisungen und radelte wieder nach Hause, denn die Mutter traute sich nicht, nachts allein zu sein. Bram, Merien und ich blieben zurück. Im März kann es
verdammt
kalt sein. Tagsüber, solange wir arbeiteten, ging es einigermaßen, aber abends in der Scheune wurde uns nicht warm. Eswar eine so gemeine, beißende Kälte, dass wir vor Verzweiflung noch eine Weile draußen herumliefen, damit wenigstens unsere Füße warm wurden. So etwas macht man nicht einfach zum Spaß, abends noch mal auf dem kalten, dunklen Polder herumzulaufen.
    Wir schliefen auf einem Getreideboden, auf einer Schicht Stroh. Meriens Federbett war noch nass, das konnten wir vorläufig nicht nehmen. Wegen der Kälte schliefen wir alle drei eng aneinandergedrückt, noch in unserer Arbeitskleidung. Sogar unsere Schuhe behielten wir an, hatten aber die Schnürsenkel aufgemacht. Mitten in der Nacht hörte ich ein Tick-tick-tick, ein Rad, das sich drehte. Es stand dort ein altes Fahrrad, mit den Rädern nach oben. Vom Dachstuhl war eine Ratte auf das Fahrrad heruntergesprungen und hatte das Rad in Bewegung versetzt. Ratten sind menschenbezogen, sie halten sich gern bei Menschen auf. Sie sind es nicht gewöhnt, dass jemand in der Scheune schläft, sie werden neugierig, kommen angeschlichen und scharren direkt neben deinem Kopf im Stroh. Dann sind sie wirklich verdammt nah! Bram war krank geworden. Er lag die ganze Nacht hustend an meinem Rücken. Am nächsten Morgen hatte ich einen nassen Fleck am Rücken.
     
    Ich versuchte es auch mit dem Reetdachdecken, aber Bram sagte: »Mann, hör doch auf, du bringst überhaupt nichts zustande. Deine Schicht ist viel zu schlaff. Geh hinunter und hol Schilfrohr, davon haben wir mehr.«

WAS FEHLTE DER MUTTER EIGENTLICH?
    Was fehlte der Mutter eigentlich? Wir wussten es nicht. Ihr war es oft
nicht gut,
dann blieb sie bis mittags im Alkoven und manchmal kam sie den ganzen Tag nicht heraus. Wenn es der Mutter
nicht gut
war, war sie schwierig, lästig. Sie sah dann auch immer ein bisschen grau aus. Trotzdem erholte sie sich wieder und dann lief es eine Zeit lang gut. Doch ein paar Wochen später ging es wieder schief. Von Doktor Luijks aus ’s-Heerenhoek bekam sie immer große Flaschen
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