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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik
Autoren: Ayn Rand
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wir nicht länger warten können.“
    Mit halb spöttischer, halb argwöhnischer Stimme fragte Taggart langsam: „Was sagt denn meine Schwester dazu?“
    „Sie kommt erst morgen zurück.“
    „Und was soll ich also deiner Meinung nach tun?“
    „Das musst du selbst wissen.“
    „Ganz gleich, was du noch sagst, erzähl mir jetzt bloß nichts von Rearden Steel.“
    Eddie antwortete nicht sofort, dann sagte er ruhig: „Also gut, Jim. Ich rede nicht davon.“
    „Orren ist mein Freund.“ Es kam keine Antwort. „Deine Einstellung gefällt mir nicht. Orren Boyle wird die Schienen liefern, sobald es menschenmöglich ist. Und solange er nicht liefern kann, kann man uns auch nichts vorwerfen.“
    „Jim! Was redest du da? Begreifst du nicht, dass die Rio-Norte-Trasse zusammenbricht – ob man uns nun etwas vorwirft oder nicht?“
    „Die Leute würden sich damit abfinden, es bliebe ihnen ja nichts anderes übrig – gäbe es nicht die Phoenix-Durango.“ Er sah, wie Eddies Gesichtszüge sich anspannten. „Nie hat sich jemand über die Rio-Norte-Linie beschwert, bis die Phoenix-Durango auf der Bildfläche erschien.“
    „Die Phoenix-Durango leistet hervorragende Arbeit.“
    „Man stelle sich vor, ein Unternehmen wie die Phoenix-Durango will mit der Taggart Transcontinental konkurrieren! Noch vor zehn Jahren war sie nichts als eine kleine Lokalbahn, die Milch transportierte.“
    „Heute befördert sie einen Großteil der Fracht aus Arizona, New Mexico und Colorado.“ Taggart antwortete nicht. „Jim, wir können es uns nicht leisten, Colorado zu verlieren. Es ist unsere letzte Hoffnung. Es ist jedermanns letzte Hoffnung. Wenn wir uns nicht zusammenreißen, werden wir jeden großen Spediteur in diesem Bundesstaat an die Phoenix-Durango verlieren. Die Wyatt-Ölfelder haben wir bereits verloren.“
    „Ich verstehe nicht, warum alle immerzu von den Wyatt-Ölfeldern reden.“
    „Weil Ellis Wyatt ein begnadeter …“
    „Zum Teufel mit Ellis Wyatt!“
    Diese Ölquellen, schoss es Eddie plötzlich durch den Kopf, glichen sie nicht in gewisser Weise den Blutgefäßen auf der Karte? Durchzogen sie das Land nicht genauso wie seinerzeit die roten Linien der Taggart Transcontinental – eine Leistung, die heute undenkbar schien? Er stellte sich die Ölquellen vor, wie sie einen schwarzen Strom ausspien, der den Kontinent beinahe schneller überströmte, als die Züge der Phoenix-Durango ihn befördern konnten. Jenes Ölfeld war nur ein felsiges Stück Land in den Bergen von Colorado gewesen, das längst als ausgeschöpft galt. Ellis Wyatts Vater hatte mit den versiegenden Ölquellen am Schluss nur noch das zum Leben Notwendigste verdient. Jetzt schien es, als hätte jemand dem Berg einen Adrenalinstoß ins Herz gejagt, sodass es angefangen hatte zu pumpen und das schwarze Blut durch die Felsen schoss – natürlich ist es Blut, dachte Eddie Willers, denn Blut nährt, spendet Leben, und genau das hatte Wyatts Öl getan. Es hatte karge Landstriche jäh zum Leben erweckt, es hatte einer Region, die bis dahin ein weißer Fleck auf der Landkarte gewesen war, zu neuen Städten, neuen Kraftwerken, neuen Fabriken verholfen. Neue Fabriken, dachte Eddie Willers, in einer Zeit, in der die Frachteinnahmen aus allen wichtigen etablierten Industriezweigen Jahr für Jahr zurückgingen; ein ergiebiges neues Ölfeld in einer Zeit, in der die großen Förderanlagen in einem bekannten Ölfeld nach dem anderen abgeschaltet wurden; ein neuer Industriestandort in einer Gegend, in der man nichts als Rinderherden und Rübenfelder erwartet hätte. All das hatte ein Einzelner geschaffen, und zwar in nur acht Jahren. Das waren Geschichten wie die, die er seinerzeit in Schulbüchern gelesen hatte, dachte Eddie Willers, jene unglaublichen Geschichten aus der Zeit der frühen Besiedlung Amerikas. Er wünschte, er könnte Ellis Wyatt kennenlernen. Er war in aller Munde, aber nur wenige hatten ihn je persönlich getroffen. Er kam selten nach New York. Es hieß, er sei dreiunddreißig Jahre alt und habe ein hitziges Temperament. Er hatte eine Methode entwickelt, um erschöpfte Ölquellen wiederzubeleben, und wandte sie nun an.
    „Ellis Wyatt ist ein raffgieriger Halunke, der nur ans Geldverdienen denkt“, sagte James Taggart. „Dabei gibt es doch wirklich Wichtigeres im Leben, als Geld zu scheffeln.“
    „Was soll denn das heißen, Jim? Was hat das mit …“
    „Außerdem hat er uns aufs Kreuz gelegt. Wir haben die Wyatt-Ölfelder jahrelang gut
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