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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik
Autoren: Ayn Rand
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mich nicht! Stör mich nicht! Stör mich nicht!“, sagte James Taggart.
    Eddie Willers ging auf den Schreibtisch zu.
    „Es ist wichtig, Jim“, sagte er ruhig.
    „Also gut, also gut, was gibt’s?“
    Eddie Willers blickte auf eine Landkarte an der Wand des Büros. Die Farben hinter dem Glas waren verblasst. Er fragte sich beiläufig, wie viele Taggart-Präsidenten wohl schon davorgesessen hatten und seit wie vielen Jahren sie schon dort hing. Die Bahnstrecken der Taggart Transcontinental, das Netz roter Linien, die den ausgeblichenen Körper des Landes von New York bis San Francisco durchzogen, wirkten wie ein Geflecht von Blutgefäßen. Es sah aus, als wäre das Blut einst, vor langer Zeit, durch die Hauptschlagader geschossen und als hätten sich dabei aufgrund des hohen Drucks und der Menge allenthalben Verästelungen gebildet, die das ganze Land durchzogen. Eine rote Ader wand sich von Cheyenne in Wyoming bis hinab nach El Paso in Texas – die Rio-Norte-Trasse der Taggart Transcontinental. Kürzlich war ein neuer Zweig hinzugekommen, sodass die rote Linie nun südlich von El Paso weiterging – aber Eddie Willers wandte sich rasch ab, als seine Augen diesen Punkt erreichten.
    James Taggart zugewandt, sagte er: „Es geht um die Rio-Norte-Trasse.“ Er bemerkte, wie sich Taggarts Blick auf eine Ecke des Schreibtisches zubewegte. „Es gab wieder einen Unfall.“
    „Eisenbahnen verunglücken tagtäglich. Musst du mich damit belästigen?“
    „Du weißt genau, was ich damit sagen will, Jim. Die Rio-Norte-Trasse ist am Ende. Die Gleise sind kaputt. Auf der gesamten Strecke.“
    „Wir bekommen neue.“
    Eddie Willers sprach weiter, als hätte er die Antwort überhört: „Die Gleise sind kaputt. Es ist sinnlos, Züge darauf verkehren lassen zu wollen. Die Leute versuchen schon gar nicht mehr, damit zu fahren.“
    „Mir scheint, es gibt im ganzen Land keine Eisenbahngesellschaft, die nicht auf einigen Strecken Verluste einfährt. Wir sind nicht die Einzigen. Es ist ein landesweites Problem – ein vorübergehendes landesweites Problem.“
    Eddie stand da und blickte ihn schweigend an. Diese Angewohnheit, seinem Gegenüber direkt in die Augen zu schauen, mochte Taggart an Eddie nicht. Eddies Augen waren blau, offen und forschend. Er hatte blondes Haar und ein eckiges Gesicht, das bis auf diesen Ausdruck von gewissenhafter Aufmerksamkeit und unverhohlener, staunender Verwunderung unauffällig war.
    „Was willst du?“, fuhr Taggart ihn an.
    „Ich bin nur gekommen, weil es etwas gibt, das du wissen solltest und irgendjemand dir schließlich sagen muss.“
    „Dass wir wieder einen Unfall hatten?“
    „Dass wir die Rio-Norte-Linie nicht aufgeben dürfen.“
    James Taggart hob selten den Kopf. Um jemanden anzuschauen, hob er lediglich seine schweren Augenlider und starrte von unterhalb seiner kahlen, hohen Stirn nach oben.
    „Wer denkt denn daran, die Rio-Norte-Linie aufzugeben?“, fragte er. „Es war nie die Rede davon, sie aufzugeben. Es gefällt mir nicht, dass du so etwas überhaupt aussprichst. Das gefällt mir ganz und gar nicht.“
    „Aber wir haben den Fahrplan seit sechs Monaten nicht ein einziges Mal eingehalten. Es gab keine einzige Fahrt ohne größere oder kleinere Pannen. Wir verlieren all unsere Kunden, einen nach dem anderen. Wie lange können wir das noch verkraften?“
    „Du bist ein Schwarzmaler, Eddie. Dir fehlt es an Zuversicht. Und genau das untergräbt die Moral einer Firma.“
    „Heißt das, dass nichts unternommen wird, um die Rio-Norte-Linie zu retten?“
    „Das habe ich nicht gesagt. Sobald wir die neuen Gleise bekommen …“
    „Es wird keine neuen Gleise geben, Jim.“ Er sah, wie Taggarts Augenlider sich schwerfällig hoben. „Ich komme gerade von Associated Steel. Ich habe mit Orren Boyle gesprochen.“
    „Was hat er gesagt?“
    „Er hat anderthalb Stunden lang geredet, ohne mir eine einzige konkrete Antwort zu geben.“
    „Warum hast du ihn überhaupt behelligt? Soweit ich weiß, ist die erste Schienenlieferung erst nächsten Monat fällig.“
    „Aber ursprünglich sollten sie vor drei Monaten geliefert werden.“
    „Unvorhergesehene Umstände. Dafür konnte Orren beim besten Willen nichts.“
    „Und sechs Monate davor hätten sie auch schon geliefert werden sollen. Jim, wir warten seit dreizehn Monaten darauf, dass Associated Steel die Schienen liefert.“
    „Was erwartest du von mir? Ich kann ja nicht Orren Boyles Betrieb führen.“
    „Du sollst einsehen, dass
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