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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik
Autoren: Ayn Rand
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bedient. Als der alte Wyatt noch lebte, haben wir jede Woche einen Tankzug für ihn eingesetzt.“
    „Aber der alte Wyatt lebt nun einmal nicht mehr, Jim. Die Phoenix-Durango setzt täglich zwei Tankzüge ein – und zwar pünktlich.“
    „Wenn er uns Zeit gelassen hätte, um mit ihm gemeinsam zu expandieren, dann …“
    „Er hat aber keine Zeit zu verlieren.“
    „Was erwartet er denn? Dass wir all unsere anderen Kunden im Stich lassen, das Wohl des ganzen Landes aufs Spiel setzen und ihm alle unsere Züge zur Verfügung stellen?“
    „Nicht doch. Er erwartet nicht das Geringste. Er beauftragt einfach die Phoenix-Durango.“
    „In meinen Augen ist er ein destruktiver, gewissenloser Unmensch. Ich halte ihn für einen verantwortungslosen Emporkömmling, der völlig überschätzt wird.“ Es war erstaunlich, in James Taggarts sonst so lebloser Stimme plötzlich solche Erregung zu hören. „Ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Ölfelder überhaupt ein Segen sind. Mir scheint, er hat die Wirtschaftsstruktur des gesamten Landes durcheinandergebracht. Niemand konnte absehen, dass Colorado sich zu einem Industriestaat entwickeln würde. Worauf kann man sich noch verlassen, und wie soll man überhaupt noch planen, wenn sich alles immerzu ändert?“
    „Gütiger Himmel, Jim! Er …“
    „Ja, ich weiß, ich weiß, er macht Gewinn. Aber daran lässt sich wohl kaum der Wert eines Menschen für die Gesellschaft messen. Und was sein Öl angeht, so würde er zu uns angekrochen kommen und mit den anderen Spediteuren warten, bis er an der Reihe ist, und er würde sich mit dem Frachtvolumen bescheiden, das ihm gerechterweise zusteht – wäre da nicht die Phoenix-Durango. Wir können nichts dafür, dass wir solch vernichtendem Wettbewerb ausgesetzt sind. Uns kann niemand etwas vorwerfen.“
    Der Druck in seiner Brust und seinen Schläfen rührte von der Anstrengung her, dachte Eddie Willers. Er hatte sich vorgenommen, Taggart die Sachlage ein für alle Mal klar zu machen, und sie war so klar, dachte er, dass es an seiner Darstellung liegen musste, wenn Taggart sie dennoch nicht verstand. Er hatte sein Bestes getan, und doch scheiterte er, wie er es in all ihren Unterredungen getan hatte. Was auch immer er sagte, stets schienen sie aneinander vorbeizureden.
    „Jim, was soll das heißen? Spielt es eine Rolle, dass niemand uns etwas vorwerfen kann – wenn sich die Strecke auflöst?“
    James Taggart lächelte; es war ein dünnes Lächeln, spöttisch und kalt. „Überaus rührend, Eddie“, sagte er. „Überaus rührend, deine Ergebenheit der Taggart Transcontinental gegenüber. Wenn du nicht aufpasst, wirst du noch zu einem Leibeigenen.“
    „Das bin ich schon, Jim.“
    „Aber ist es überhaupt deine Aufgabe, diese Angelegenheiten mit mir zu besprechen, wenn ich fragen darf?“
    „Nein, ist es nicht.“
    „Und weshalb will es dir nicht in den Kopf, dass wir Fachabteilungen haben, die sich um solche Belange kümmern? Warum erstattest du nicht Bericht an die zuständigen Stellen? Warum weinst du dich nicht an der Schulter meiner lieben Schwester aus?“
    „Hör zu, Jim. Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, mich an dich zu wenden. Aber ich verstehe nicht, was hier vor sich geht. Ich weiß nicht, was deine Berater dir melden oder warum sie dir die Situation nicht begreiflich machen können. Deshalb wollte ich selbst mit dir sprechen.“
    „Unsere Kindheitsfreundschaft in Ehren, Eddie, aber glaubst du, sie gäbe dir das Recht, nach Belieben unangemeldet in mein Büro zu spazieren? Muss ich dich angesichts deiner eigenen Stellung daran erinnern, dass ich der Präsident der Taggart Transcontinental bin?“
    Es war zwecklos. Eddie Willers blickte ihn wie gewohnt an, nicht gekränkt, eher befremdet, und fragte: „Also gedenkst du nicht, etwas wegen der Rio-Norte-Trasse zu unternehmen?“
    „Das habe ich nicht gesagt. Das habe ich überhaupt nicht gesagt.“ Taggart blickte auf die Karte, auf den roten Strich südlich von El Paso. „Sobald die San-Sebastián-Minen eröffnet werden und unsere Strecke in Mexiko anfängt, sich bezahlt zu machen …“
    „Fang bitte nicht damit an, Jim.“
    Taggart drehte sich um, erschrocken über die nie da gewesene feindselige Wut in Eddies Stimme. „Was ist denn los?“
    „Du weißt ganz genau, was los ist. Deine Schwester meint …“
    „Zum Teufel mit meiner Schwester!“, sagte James Taggart.
    Eddie Willers rührte sich nicht. Er antwortete nicht. Er stand da und blickte starr
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