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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger
Autoren: Thomas Jeier
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der Hüfte, doch die Wunde war nicht tief und blutete kaum. Er setzte nach, traf zweimal die Klinge seines Gegners und mit dem dritten Schlag die Schulter über dem abgetrennten Arm. Bis auf den Knochen bohrte sich seine Klinge. Dunkles Blut spritzte aus der Wunde und ergoss sich in das schäumende Wasser unter ihnen. Doch gerade in diesem Augenblick zeigten sich die Erfahrung und die Härte des Jarls. Als wäre nichts geschehen, ging er zum Gegenangriff über und traf seinen überraschten Neffen an der Hüfte. Hakon schrie auf, taumelte zurück und rutschte in der Gischt aus. Fluchend stürzte er auf den Rücken.
    Er rollte sich zur Seite, einen Arm immer noch auf dem Rücken, das Gesicht schmerzverzerrt. Neben ihm fuhr Ivars Klinge in die Planken. Er prallte gegen einen der Toten, sprang auf und duckte sich unter einem weiteren Hieb seines Gegners hinweg. Er warf sich mit seinem ganzen Körper gegen Ivar, traf ihn mit dem Kopf wie ein Rammbock und drängte ihn durch eine Lücke in der zerstörten Reling. Der Jarl stürzte in die Brandung, fiel der Länge nach ins schäumende Wasser, stemmte sich ächzend hoch und wartete mit triefenden Haaren auf ihn. Seine Augen blitzten, sein Gesicht war vor Wut verzerrt.
    Ohne zu zögern, sprang Hakon hinterher. Mit beiden Beinen kam er neben Ivar auf, das Schwert in der erhobenen Rechten. Er wusste, dass ihm kaum noch Zeit blieb. Seine Verletzung war schwerer, als er angenommen hatte, und er verlor viel Blut. Er spürte, wie die Kraft aus seinem Körper entwich. Wenn er Ivar nicht mit einem der nächsten Schläge tötete, war er verloren.
    Doch zuerst schlug Ivar zu. Sein Schlag ging ins Leere und brachte ihn aus dem Gleichgewicht, ließ ihn gegen die Schiffswand stolpern. Hakon setzte nach und traf ihn am Hals, beobachtete mit grimmiger Genugtuung, wie der Glanz aus den Augen seines Onkels wich, und schlug noch einmal zu.
    Diesmal bohrte sich die scharfe Klinge tief in Ivars Körper und riss alles Leben aus ihm. Er starrte seinen Neffen ungläubig an, taumelte nach vorn und stürzte mit dem Gesicht voran in die schäumende Brandung. Unter ihm färbte sich das Wasser blutrot. Beinahe im selben Augenblick riss der Wind das zerfetzte Segel vom abgeknickten Mast und wehte es auf den toten Jarl. Wie ein riesiges Leichentuch blieb das blutrote Segel auf ihm liegen, die letzte Ehre für einen unnachgiebigen Mann, der nur für den Kampf gelebt hatte.
    Hakon wandte sich schwankend ab und stapfte um das Wrack herum. Mit Schleiern vor den Augen blieb er taumelnd beim toten Edwin stehen. »Tut mir leid, dass … dass ich dich nicht bestatten kann, aber … ich bin zu schwach, mein Freund.« Er stolperte benommen weiter, raffte seine letzte Kraft zusammen, um das Beiboot in die Brandung zu schieben, und sank erschöpft hinein, viel zu schwach, um nach den Rudern zu greifen, nicht einmal dazu fähig, das behelfsmäßige Segel auszurichten.
    Im Boot wälzte er sich auf den Rücken und ließ den kühlen Nieselregen auf sein Gesicht fallen, betastete mit beiden Händen die blutende Wunde und schloss die Augen. Die Götter hatten Mitleid mit ihm und ließen ihn in eine tiefe Bewusstlosigkeit versinken. Er merkte nicht, wie sich das Boot ein paarmal drehte, dann von einer Strömung erfasst und nach Süden getrieben wurde, immer an der bewaldeten Küste des großen Sees entlang. Jetzt war er allein in der Neuen Welt, der letzte verbliebene Weiße, der in das Land der bronzehäutigen Fremden vorgedrungen war.
    Der Tag verging und die Nacht zog herauf, ohne dass Hakon nur einmal die Augen geöffnet hatte. Erst im Morgengrauen des nächsten Tages kam er langsam zu sich, verwundert darüber, dass er noch am Leben war. Oder war er schon in Walhall bei den anderen toten Kriegern? Er öffnete die Augen und blinzelte zum grauen Himmel empor. Der See war ruhig, nur leichte Wellen schlugen plätschernd gegen die Bordwand. Nein, er war am Leben, und nur die Götter wussten, wohin ihn die Strömungen des Sees getrieben hatten.
    Er verspürte Hunger und Durst, vor allem Durst, stemmte sich ächzend auf den linken Unterarm, um Wasser aus dem See zu schöpfen, aber der Schmerz traf ihn wie glühendes Eisen und ließ ihn stöhnend zurücksinken. Benommen blieb er liegen. Er tastete nach der Wunde und fühlte verkrustetes Blut, spürte neue Zuversicht in sich aufsteigen. Die Blutung hatte aufgehört. Wenn er ein ruhiges Lager fand, etwas zu essen und zu trinken bekam, wenn er heilende Kräuter für seine Wunde
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