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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger
Autoren: Thomas Jeier
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finden konnte … wenn ein Wunder geschah …
    Seine Zuversicht schwand so schnell, wie sie gekommen war, und er schloss erneut die Augen, diesmal vor Enttäuschung. Solange er hilflos in der Strömung dieses riesigen Sees trieb, gab es keine Rettung. Er war viel zu schwach, das Segel auszurichten oder nach den Rudern zu greifen, er konnte ja nicht einmal einen Arm heben. Wie ein hilfloser Käfer lag er auf dem Rücken.
    Wieder verlor Hakon das Bewusstsein, eine Folge der Schwäche, die selbst seinen starken Körper ermatten ließ. Erst gegen Mittag erwachte er, als die Sonne zwischen den Wolken aufblitzte und ihn mit ihren Strahlen traf. Er öffnete die Augen und erschrak, als das Boot gegen etwas Hartes stieß und auf festem Untergrund liegen blieb. Der Ruck, der durch das Beiboot ging, ließ seine Wunde schmerzhaft aufbrechen und schickte ihn erneut in einen sanften Dämmerschlaf.
    Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimmen der Männer, die einige Zeit später aus dem Wald traten und das gestrandete Boot auf dem steinigen Strand liegen sahen. Kehlige Laute, wie sie die Eingeborenen ausgestoßen hatten, denen Edwin und er begegnet waren. Er öffnete die Augen, sah nur die schemenhafte Umrisse einiger Männer, die sich neugierig über ihn beugten, ihn wie ein erlegtes Tier berührten, von dem sie nicht wussten, ob es schon tot oder noch am Leben war, und sich aufgeregt miteinander unterhielten.
    »Hakon … ich bin Hakon … ich … komme in Frieden …«, versuchte er zu sagen, doch tatsächlich kam nur ein undeutliches Krächzen über seine aufgesprungenen Lippen. Warum halfen ihm die Fremden nicht? Wollten sie ihn töten?
    Kräftige Arme packten ihn und zogen ihn aus dem Boot. Glühender Schmerz schoss durch seinen Körper und ließ es erneut schwarz vor seinen Augen werden. Er spürte nicht, wie ihn einer der Eingeborenen über die Schulter warf und ihn über einen schmalen Pfad durch den dichten Laubwald trug. Der Mann wechselte sich mit den anderen Kriegern ab, bis sie einen schmalen Fluss und die Wigwams ihres Stammes erreichten. Bellende Hunde kündigten ihr Kommen an und trieben die Bewohner vor die Strauchhütte des Anführers, eines stattlichen Kriegers mit schulterlangen Haaren und zwei Adlerfedern in der Fellkappe. Zu beiden Seiten der Kopfbedeckung hingen Hermelinschwänze, um seinen Hals lag eine Kette aus Bärenklauen.
    Er beugte sich über den hellhäutigen Fremden, berührte ehrfürchtig die Muschelkette und das silberne Kreuz und wandte sein Gesicht zum Himmel. Er murmelte ein paar Worte, die niemand verstand, und blickte wieder den Fremden an, untersuchte die blutende Wunde und rief nach dem Heiler, einem heiligen Mann mit weißen Haaren. Zwei Krieger trugen den Verletzten in einen freien Wigwam und legten ihn auf das Fell eines riesigen Bären.
    Hakon war schon wieder so weit bei Bewusstsein, dass er die schattenhaften Umrisse der Krieger erkannte und das Rasseln und die beschwörenden Gesänge des Heilers hörte, der in seine Hütte kam. Er erinnerte sich an Solveig in Danmark, als der alte Mann zerkaute Kräuter auf die Wunde legte. Sie verschafften ihm sofort Linderung. Dazu murmelte er fremdartige Worte, die wie ein Gebet klangen, und warf ein seltsames Kraut ins Feuer, das einen würzigen und leicht betäubenden Duft in der Hütte verbreitete.
    Der Singsang des alten Mannes wiegte Hakon in den Schlaf. Er schloss die Augen und fand sich in einem Traum wieder, sah die junge Frau aus dem geheimnisvollen Buch aus einem Kanu steigen und in die Arme ihrer Verwandten sinken, erschöpft und müde von einer langen Reise, die sie bis zum Rand ihrer Welt geführt hatte. In ihren Augen waren Tränen der Freude, als man sie ans große Feuer holte, ihr zu essen und zu trinken gab und geduldig darauf wartete, bis sie von ihren Erlebnissen berichtete. Ihre Stimme war angenehm und weich und trieb wie das Echo eines sanften Liebesliedes zu Hakon in den Wigwam, erfüllte ihn mit einer Freude, wie er sie noch nie erlebt hatte.
    Mitten in ihrer Erzählung brach sie ab. Sie deutete in die Richtung, in der er lag, wechselte ein paar Worte mit dem Anführer und stand langsam auf. Zögernd näherte sie sich seiner Hütte. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die Wolken gebahnt hatten, ließen ihre Haut wie hellen Blütenhonig glänzen.
    Das war sie, die Frau aus dem Buch der Christen! Für einen kurzen Moment war Hakon fassungslos vor Glück.
    Er öffnete die Augen und erschrak, als niemand da war
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