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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean
Autoren: Bruce Sterling
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schlanken Körper zu dünn. Gleichgültig. Die Schlange glitt vertrauensvoll hinein. Eine Ausbuchtung kräuselte sich die ganzen sechzig Meilen hinauf, ohne beim Eintritt in den Spalt die Geschwindigkeit auch nur zu verlangsamen. Fels barst krachend und zersprang wie heißes Glas, das in Eiswasser geworfen wird. Schroffe Splitter brachen von der Felswand ab, fielen Meile für Meile und gewannen dabei eine solche Geschwindigkeit, daß sie zu Tektiten zerschmolzen, als sie auf die Atmosphäre trafen.
    Jetzt kehrte die Schlange die Richtung der kräuselnden Bewegungen um, Ausbuchtungen erschienen und wanderten Meile für Meile abwärts, um im grauen Staubmeer zu verschwinden. Wellen setzten sich eine nach der anderen wie peristaltische Bewegungen fort, und mir wurde klar, daß, was immer in diesem grotesken Metallwurm lebte, sich nach oben fraß, durch die letzten Meilen der Felsschicht.
    Automatische Sensoren hatten den Staubgeysir unterhalb der zweiten Stadt registriert. Ein Alarmsignal heulte auf, ein katzengleiches gefiedertes Geschöpf erwachte an seiner Konsole, gähnte, streckte sich, untersuchte die zierlichen Hieroglyphen der Alten Kultur, die der Computer auf einem Bildschirm ausdruckte. Es schaltete das Alarmsignal ab, blinzelte mit schläfrigen grauen Augen und versuchte, die Information zu entschlüsseln. Es sah interessant aus; das Geschöpf beschloß, seinen Vorgesetzten zu rufen.
    Der Wurm kam im Zentrum der ersten Stadt hoch.
    Das Mosaikpflaster zersprang, kleine braune und weiße Kacheln platzten und zerbröckelten, und der Wurm brach inmitten einer vielfarbigen Menge hervor. Er schenkte dem Schreien und panischen Flüchten keine Aufmerksamkeit, obwohl einige Bewohner über ihn stolperten und auf ihn traten. Statt dessen wand er sich schnell über die Straße, wobei er seinen Weg noch immer mit dem spitz zulaufenden Kopf ertastete. Er traf auf ein Gebäude, ein zehnstöckiges weißes Achteck mit blauen Metallblenden, und erhöhte plötzlich seine Geschwindigkeit; aller Zweifel schien beseitigt, der Wurm bewegte sich mit der Geschwindigkeit einer knallenden Peitsche. Er umkreiste das Gebäude, sprang durch eine Gasse, kreiste um ein weiteres Gebäude, bohrte sich durch die Kunststoffwandfüllung eines geodätischen Zylinders und tötete fünf Bewohner beinahe beiläufig, indem er sie gegen Wände und Decken schmetterte und sie zermalmt in großen Blutpfützen liegen ließ: eine rote Lache, eine grüne Lache, eine kupferfarbene Lache …
    Die Schlange kroch und schlich und glitt mit schwindelerregender Anmut, fraß sich durch Gebäude, hüllte andere in Spiralen ihres Körpers, bewegte sich durch jeden Teil der Stadt, überquerte ihren eigenen Weg Hunderte Male, bis sie schließlich zu ihrem Ausgangspunkt im Zentrum der Stadt zurückkehrte. Dort, an dem bröckelnden Loch, trat ein riesiges Geschöpf, ein Satyr mit metallenen Hufen, der an die zweieinhalb Meter groß war, immer wieder auf den Körper des Wurms. Er mußte über eine Tonne wiegen, und die Hufe an seinen behaarten Beinen waren scharf, aber es war, als würde er auf einer stählernen Stange herumtrampeln. Alles geschah zur gleichen Zeit. Im östlichen Teil der Stadt, wo eine Gruppe von Einwohnern versucht hatte, eine Strahlungswaffe gegen ein Segment des Wurms einzusetzen, stieg Rauch auf. Der Strahl hatte ein Dutzend der Umstehenden und den größten Teil eines Gebäudes zerschmolzen und war erloschen. An anderer Stelle stürzten sich verzweifelte Bewohner in ihre unvollständigen Seelenskulpturen; sie zuckten konvulsivisch, als sie einzelner Teile ihrer Psyche beraubt wurden. Andere machten verzweifelte Anstrengungen, ein Schiff für den Start vorzubereiten. Wieder andere begannen, Funkwarnungen und Hilferufe an ihre Schwesterstadt auszustrahlen.
    Die Schlange hielt inne. Sie hatte sich zusammengerollt, durch und um die Gebäude gewunden wie ein Bandwurm durch Därme.
    Jetzt wurde sie langsamer. Ein kaum vernehmbares Zittern schüttelte sie. Metall begann sich zu verformen. Gebäude lösten sich auf. Der Körper der Schlange durchschnitt Gebäude wie eine Garrotte aus Draht eine menschliche Kehle. Ließ Wasser ausfließen, entzündete elektrische Feuer, als sie durch Kabel und Schaltungen fuhr, fügte Dutzenden gefangenen Einwohner schwere Verletzungen zu, ließ Häuser auf die Menge in den Straßen hinabstürzen.
    Dann begann sie, sich durch das Loch zurückzuziehen, glitt schlüpfrig hinunter wie ein Maßband, das sich in seine Hülse
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