Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker
Autoren: Liaty Pisani
Vom Netzwerk:
immer dann eingesetzt, wenn sich die Lage zuspitzte. Mit Exekutionen hatte er nichts zu tun. Die Mörder traten, wenn nötig, vorher oder nachher in Aktion, sie waren professionelle Killer.
    Der Dienst war sozusagen überparteilich und operierte dank einer unerforschlichen Ethik, die nicht allein vom Geld bestimmt wurde, mal für die eine, mal für die andere Macht. Er war so etwas wie eine Schweiz der Geheimdienste, und daher bei Kollegen, die für eine einzige Nation arbeiteten, schlecht angesehen.
    Ogden konnte verurteilen, brauchte aber nicht zu töten, es sei denn, die Lage zwang ihn dazu, doch das war nur wenige Male vorgekommen. Seine Stellung als Agent auf der höchsten operativen Ebene durfte durch allzu offene Aktionen wie Morde nicht kompromittiert werden. Er hatte seine Arbeit oft mit der von Bomberpiloten verglichen: von oben hat man nicht das Gefühl zu töten.
    Er traf seinen Kontaktmann kurz vor dem Café Demel. Sein kahler Schädel glänzte in der Sonne; er war wie ein Tourist gekleidet, und die übergroße Sonnenbrille verlieh ihm das Aussehen einer Fliege. Ogden kannte Franz, er hatte mit ihm ein paarmal im Mittleren Osten zusammengearbeitet: ein fleißiges Insekt und recht angenehm. Sie setzten sich ins Café.
    »Unser Freund hat ein kleines Problem …«, sagte Franz.
    Ogden sah ihn an und versuchte, durch die dunklen Brillengläser hindurchzusehen, was ihm aber nicht gelang.
    »Nämlich?«
    »Eine Patientin ist ihm davongelaufen. Das ist nicht besonders angenehm für einen Psychoanalytiker …«
    »Dann ist dies wohl auch unser Problem, oder?« Ogden steckte sich eine Zigarette an.
    »Richtig. Die Patientin, die abgehauen ist, heißt Alma Lasko.«
    »Wieder einmal zu spät«, sagte Ogden wütend. »Zuerst stürzt der Mann mit seinem Auto von der Grande Corniche und bleibt als verkohlte Leiche übrig, und jetzt verschwindet die Frau vor unserer Nase … In einer einzigen Woche haben wir zwei Bindeglieder verloren, die letzten, die uns noch geblieben waren.«
    »Um es noch einmal zusammenzufassen«, fuhr Franz fort: »Die Dame war ein Jahr bei Dr. Guthrie zur Analyse und ist seit einer Woche verschwunden. Und Lasko ist tot, aber genau seit er tot ist, hat sich seine Frau in Luft aufgelöst. Das weiß Guthrie nicht, ich meine, er weiß nicht, daß die Frau zum gleichen Zeitpunkt verschwunden ist wie der Mann, weil er ja auch nicht einmal weiß, daß der Mann tot ist.«
    Franz sah Ogden unsicher an.
    »Wie sollen wir vorgehen?« fragte er.
    Ogden blickte zur Glastür des Demel und trank noch einen Schluck Cognac.
    »Heute nehme ich Kontakt mit Guthrie auf. Ruf mich heute abend im Hotel an. Wenn es etwas Neues gibt, melde ich mich bei dir. Bis später.«
     
     
    Nachdem Ogden seinen Audi abgestellt hatte, ging er zu Fuß weiter zur Universität. Sirenengeheul lenkte ihn von der Betrachtung einer Barockstatue ab. Polizei und Feuerwehr rasten durch die Straße, auf der er gerade ging, und blieben fünfzig Meter weiter vorn stehen. Eine kleine Menschenansammlung verdeckte etwas Weißes, das auf dem Gehsteig lag. Ogden ging nicht schneller. Die Feuerwehrleute hoben die Leiche aus der Blutlache auf: sie trugen Gummihandschuhe und außerdem Gesichtsmasken. Eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, dachte er, während er die Straße überquerte. Die Masken halfen bestenfalls bei Smog, gegen die Seuche nützten sie überhaupt nichts.
    In Gedanken noch halb mit diesem jüngsten Selbstmordfall beschäftigt, beschleunigte er nun seinen Schritt. Der Psychoanalytikerkongreß begann in wenigen Minuten, er durfte Guthrie nicht aus den Augen verlieren.
    An jenem Morgen versammelten sich die besten Psychoanalytiker der Welt im Wissenschaftlichen Institut. Ogden bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, zeigte einen Ausweis vor, der ihm Zutritt verschaffte, und betrat den großen Vortragssaal.
    Der Platz, den der Dienst ihm besorgt hatte, sollte für die ganze Dauer des Kongresses der Sitz neben Guthrie sein, dritte Reihe, vierter Platz links.
    »Verzeihung, entschuldigen Sie … danke.«
    Er setzte sich und lächelte Guthrie zu. Der Arzt nickte, richtete seine Aufmerksamkeit aber sofort wieder auf die Rednertribüne. Ogden tat es ihm gleich. Ein Wiener Arzt aus einflußreicher Familie sprach über Freud und Tausk. Ein deprimierendes Thema, dachte Ogden, während er seinen Regenmantel über den Vordersitz hängte.
    Er hatte das Programm genau studiert, der Vortrag des Wieners würde fünfundzwanzig Minuten dauern.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher