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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker
Autoren: Liaty Pisani
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Er versuchte, möglichst wenig hinzuhören.
    Er warf Guthrie einen Blick zu. Man mußte schon sagen, die Künstler hatten gute Arbeit geleistet, hervorragende Fotos. Ein gut aussehender Mann, dem man seine fünfzig Jahre nicht anmerkte. Energisches Gesicht, noch alle Haare, gutes Profil. Er war gewiß größer, als in der Akte vermerkt, denn der Sitz schien ihn einzuengen.
    Als der Redner vom Podium stieg, brach Beifall los; auch Guthrie klatschte, aber nur kurz. Der Wiener Arzt hatte fünfundzwanzig endlose Minuten lang geredet und die absolute Schuldlosigkeit Freuds am Selbstmord Tausks behauptet. Ogden sah seinen Nachbarn an und lächelte.
    »Üble Geschichte …« sagte er.
    Guthrie zuckte angewidert die Achsel.
    »Allerdings«, stimmte er zu. »Ich verstehe gar nicht, warum er die jetzt hervorgeholt hat …«
    »Vielleicht wegen der Selbstmordepidemie. Im Grunde«, fuhr Ogden fort, »bringen sich die Menschen immer auf die gleiche Weise um. Auf dem Weg hierher sah ich einen aus dem Fenster stürzen. Oder vielmehr, er war schon heruntergefallen, aber um ein Haar …«
    Guthrie sah ihn an und krauste die Stirn.
    »Sie sind Dr. ….«
    »Ich bin kein Doktor. Mein Name ist Ogden, ich bin Verleger«, erwiderte er und streckte ihm die Hand hin.
    Der Arzt drückte sie und blickte ihn weiter an.
    »Ich bin Dr. Guthrie. Sie sind also weder Psychoanalytiker noch Psychiater. Merkwürdig, daß Sie hier überhaupt hereingekommen sind …«
    »Richtig«, pflichtete ihm Ogden bei, »dies ist ein ganz besonderer Kongreß. Wir stehen in der vordersten Linie und müssen eine Lösung finden. Viele bieten sich ja nicht gerade an«, fuhr er betrübt fort, »aber irgend etwas müssen wir finden, um jenem Teil der Menschheit, der auf so wenig natürliche Weise dahingeht, die Angst zu nehmen, meinen Sie nicht auch?«
    Guthrie starrte ihn immer noch an. »Gewissermaßen ist es so«, räumte er ein. »Ich sehe, Sie sind nicht nur hier zugelassen, sondern auch wohlinformiert.«
    Ogden wurde aufmerksamer.
    »Ja, aber weniger, als es den Anschein hat«, sagte er. »Ich gehe an die Dinge mit einer gewissen Phantasie heran und habe einen Verwandten im Innenministerium, das ist alles. Ich bin nur ein Verleger auf der Suche nach Autoren für eine neue Essayreihe.«
    »Ach!« Guthrie schien verwundert. »Und welcher Verlag ist das?«
    »Caledonia. Wir drucken Kunstbücher, oder vielmehr, wir haben nur Kunstbücher gedruckt. Wie gesagt, ich möchte eine neue Essayreihe gründen. Wissen Sie«, ergänzte er mit einem bescheidenen Lächeln, »ich habe mich schon immer für Psychoanalyse interessiert und würde gern ein paar Bücher publizieren.«
    »Caledonia …« sagte Guthrie nachdenklich. »Ja, richtig, meine Mutter besitzt eine ganze Reihe Ihrer Bände. Prächtige Bücher, mein Kompliment.«
    Das Gespräch brach ab, ein weiterer Redner bestieg das Podium. Ogden fand, daß er mit diesem ersten Annäherungsversuch zufrieden sein konnte.
    Um halb eins war die Arbeit beendet. Die Mittagspause sollte bis drei Uhr dauern. Ogden hängte sich inmitten der aus dem Saal strömenden Kongreßteilnehmer an Guthrie an. Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß in jedem dieser Eierköpfe mehrere Seelen wohnten: eine temporäre und positive im besten und eine verhängnisvolle unendliche im schlimmsten Falle.
    »Dr. Guthrie …«
    Der Arzt wandte sich zerstreut um.
    »Ja, bitte.«
    »Ich möchte Sie nicht belästigen, denn ich weiß ja, daß Sie sehr beschäftigt sind. Und durch den Kongreß ist Ihre Zeit gewiß noch knapper bemessen als sonst. Aber ich würde gern mit Ihnen über ein Verlagsprojekt reden, wenn Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für mich hätten …«
    Guthrie hob eine Braue, und dieser Ausdruck verlieh ihm Ähnlichkeit mit einem in die Jahre gekommenen Victor Mature.
    »Nun, so schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte er. »Schließlich arbeite ich ja nicht Tag und Nacht als Analytiker, sondern will auch noch etwas vom Leben haben. Worum handelt es sich denn?«
    »Wie schon angedeutet«, fuhr Ogden fort und verlieh seiner Stimme den entsprechenden Ton der Begeisterung, »habe ich die Absicht, eine neue Reihe zu gründen, die ›Das moderne Denken‹ heißen soll. Ich habe Ihr Buch gelesen und interessiere mich sehr für Ihre Arbeit. Ich dachte, wenn Sie vielleicht etwas bei uns publizieren wollten …«
    Guthrie staunte.
    »Danke für Ihr Interesse. Ich hätte nicht gedacht, daß ich auch außerhalb unserer Kreise Leser habe. Wir können
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