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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker
Autoren: Liaty Pisani
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erstatten und ihm genau das mitteilen, was er selber gesehen hatte, aber das war seine Arbeitsmethode. Später würde er sich keine Aufzeichnungen mehr machen, doch die Anfertigung und sofortige Vernichtung dieser kleinen Gedächtnisstütze war für ihn eine Art Einstimmungsritual, mit dem er versuchte, die Sache in den Griff zu bekommen, den neuen Auftrag Wirklichkeit werden zu lassen.
    Am folgenden Tag sollte er seinen Mann auf dem Kongreß kennenlernen.
     
     
    Der letzte Patient Guthries ging um Punkt sieben. Eine entnervende Sitzung, fünfundvierzig Minuten zorniges Schweigen in Gesellschaft dieses starren und stummen Zwangsneurotikers.
    Als er weg war, riß Guthrie das Fenster auf: der ganze Raum war wie gesättigt von den Qualen dieses Mannes. Die Praxis lag im Erdgeschoß, eine zufällige Entscheidung, aber eines Tages, als dieser Patient den Raum durchs Fenster statt durch die Tür verließ, erwies sie sich als ein wahres Glück.
    Nachdem Guthrie die frische Abendluft tief eingesogen hatte, trat er an seinen Schreibtisch und steckte sich eine Zigarette an. Dies war jetzt die fünfte Sitzung, zu der Alma nicht erschienen war. Er schlug sein Telefonverzeichnis auf und suchte ihre Nummer heraus. Nach dem zehnten Läuten hängte er ein. Wieder ein vergeblicher Versuch, sie aufzuspüren; Guthrie machte sich immer mehr Sorgen.
    Bis zum dritten Termin, den sie nicht wahrnahm, hatte er noch geglaubt, daß Alma ihre Analyse abbrechen wollte, dennoch beunruhigte ihn ihr Schweigen, denn er traute seiner Patientin nicht zu, so theatralisch von der Bildfläche zu verschwinden.
    Er mußte sich unbedingt versichern, daß ihr nichts passiert war. Eine eher unangenehme Sache, da er gezwungen sein würde, mit ihren Angehörigen und Freunden Kontakt aufzunehmen; das war nicht nur lästig, sondern vor allem einer weiteren Behandlung hinderlich, vorausgesetzt, daß Alma sie wieder aufnehmen wollte. Aber es blieb ihm keine andere Wahl.
    Alma hatte einen Mann, mit dem sie eine unglückliche Ehe führte. Aber auch ihn hatte Guthrie in den letzten Tagen nicht erreicht. Das Haus wirkte unbewohnt.
     
     
    Ogden war mit seinem Kontaktmann am Kohlmarkt vor dem Café Demel verabredet, danach wollte er zur Eröffnung des Psychoanalytikerkongresses in die Universität.
    Er wich einem rothaarigen jungen Mädchen aus, das ihn angerempelt hatte. Sie war schön, hatte ein sommersprossiges Gesicht und tiefgrüne Augen, wie eine Irin. Sie sah ihn an und entschuldigte sich lächelnd: ein glückliches Lächeln, das zu diesem Frühlingsmorgen paßte. Er deutete diese Begegnung als ein gutes Vorzeichen, blieb aber dennoch schlechter Laune.
    Vielleicht, weil er sich zum ersten Mal nicht wohl in seiner Haut fühlte. Er war vierzig Jahre alt, reich und gesund, das Älterwerden machte ihm keine Sorgen. Dennoch erschien ihm das Leben seit einiger Zeit wie entrückt und fremd.
    Die Welt wurde von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht, die Umweltverschmutzung hatte verheerende Ausmaße erreicht, und die Seuche, wie man das Leiden allgemein nannte, das schon Millionen Todesopfer gefordert hatte, schien das Welthungerproblem in kürzester Zeit lösen zu wollen. Aber sein Unbehagen kam nicht daher.
    Schwer zu sagen, was ihm fehlte. Agent war er schon seit jungen Jahren, Casparius hatte versucht, aus ihm seinen besten Mann zu machen, und das war er offenbar auch immer gewesen, zumindest bis jetzt. Er besaß keine Angehörigen, erkannte nur Casparius an, der schon früh bei ihm die Vaterstelle vertreten hatte. Sein leiblicher Vater hatte ihn im Tausch gegen persönlichen Schutz an ihn abgetreten, und Casparius hatte den Oberst tatsächlich so lange beschützt, bis er in einem Altenheim für leicht verblödete Herrentrinker an Leberzirrhose starb.
    Dem Tod seines Vaters war Ogden mit Gleichgültigkeit begegnet: er hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, und was er von diesem strengen und rüstigen Soldaten in Erinnerung hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Seine Mutter starb, als er drei Jahre alt war. Mit ihr verband ihn nur eine einzige vage und betörende Erinnerung – ihr Parfüm, wie er erst zwanzig Jahre später entdeckte. Da ihm diese Offenbarung im Bett einer Luxusdirne zuteil wurde, hatte dies die einzige sexuelle Störung ausgelöst, die er je erlebt hatte: er konnte nicht mit einer Frau schlafen, die Shalimar von Guerlain benutzte. Eine Einschränkung, mit der man leben konnte.
    Beim Dienst wurde er mit entscheidenden Aufgaben betraut und
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