Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
Dresden und die Verhaftungen in Jena. Wie die zehn kleinen Negerlein. Jetzt Paul, Viereck und Landser - alle tot. Und schließlich Riemeck.« Er lächelte abweisend. »Das ist ein ziemlich hoher Verschleiß. Ich habe mich schon gefragt, ob Sie nicht vielleicht genug hätten.«
    »Was meinen Sie - genug?«
    »Ich habe mich gefragt, ob Sie nicht müde geworden sind. Ausgebrannt?«
    Es entstand ein langes Schweigen.
    »Das müssen Sie beurteilen«, sagte Leamas schließlich.
    »Wir müssen ohne Gefühl leben, ist es nicht so? Das ist freilich unmöglich. Wir spielen es uns gegenseitig vor, all diese Härte. Aber so sind wir in Wirklichkeit gar nicht. Ich meine, man kann nicht die ganze Zeit draußen in der Kälte sein; man muß auch einmal aus der Kälte hereinkommen … verstehen Sie, was ich meine?«
    Leamas verstand. Er sah die lange Straße außerhalb Rotterdams, die lange, gerade Straße neben den Dünen, und den Strom von Flüchtlingen, der sich dort bewegte. Er sah - noch weit entfernt - das kleine Flugzeug, sah die Prozession anhalten und zu ihm hinaufschauen und dann das Flugzeug elegant über die Dünen einschwenken, er sah das Chaos, die nackte Hölle, als die Bomben auf die Straße schlugen.
    »Ich kann darüber nicht reden, Chef«, sagte Leamas schließlich. »Was haben Sie mit mir vor?«
    »Ich möchte, dass Sie noch etwas länger in der Kälte aushalten.« Leamas sagte nichts, deshalb fuhr der Chef fort: »Die Ethik unserer Arbeit, wie ich sie verstehe, basiert auf einer einzigen Voraussetzung: dass wir nie die Angreifer sein werden. Glauben Sie, dass das in Ordnung ist?«
    Leamas nickte. Alles war gut, wenn er dabei das Sprechen vermeiden konnte.
    »Auf diese Weise tun wir unangenehme Dinge, aber wir sind in der Verteidigung. Das, glaube ich, ist noch recht. Wir tun unangenehme Dinge, damit hier und anderswo gewöhnliche Menschen nachts sicher in ihren Betten schlafen können. Ist das zu romantisch? Freilich, gelegentlich tun wir sehr böse Dinge«, er grinste wie ein Schuljunge. »Und indem wir die moralischen Aspekte gegeneinander aufwiegen, lassen wir uns auf unehrliche Vergleiche ein; man kann schließlich nicht die Ideale der einen Seite mit den Methoden der anderen in Vergleich setzen, geben Sie mir recht?«
    Leamas fühlte sich verloren. Er hatte gehört, dass der Mann eine Menge faselte, bevor er das Messer einstieß, aber er hatte nie zuvor etwas wie dies hier gehört.
    »Ich meine, man muß Methode mit Methode vergleichen, und Ideal mit Ideal. Ich möchte sagen, dass sich unsere Methoden seit dem Krieg weitgehend denen des Gegners angeglichen haben. Ich meine, wir sollten nicht rücksichtsvoller als der Gegner sein, wenn es dafür keinen anderen Grund gibt als den, dass die Politik der eigenen Regierung ehrlicher ist. So ist es doch, oder?« Er lachte vor sich hin. »Das würde nie genügen«, sagte er.
    Himmel, dachte Leamas, das ist, als arbeite man für einen verdammten Pfarrer. Worauf will er hinaus?
    »Darum«, fuhr der Chef fort, »meine ich, wir sollten versuchen, Mundt loszuwerden … Oh, wirklich«, sagte er, sich nervös nach der Tür umwendend, »wo bleibt dieser elende Kaffee?«
    Der Chef ging zur Tür hinüber, öffnete sie und sprach zu einem im Vorzimmer unsichtbar bleibenden Mädchen. Als er zurückkehrte, sagte er: »Ich denke wirklich, wir sollten ihn loswerden, wenn sich das bewerkstelligen ließe.«
    »Warum? Es bleibt uns nichts in Ostdeutschland, überhaupt nichts. Sie sagten gerade selbst - Riemeck war der letzte. Es bleibt uns nichts zu beschützen.«
    Der Chef setzte sich und schaute eine Weile seine Hände an.
    »Das stimmt nicht ganz«, sagte er schließlich, »aber ich glaube nicht, dass ich Sie mit Einzelheiten zu langweilen brauche.«
    Leamas zuckte die Achseln.
    »Sagen Sie«, fuhr der Chef fort, »haben Sie genug von der Spionage? - Entschuldigen Sie, wenn ich die Frage wiederhole. Aber ich glaube, dass wir dieses Phänomen verstehen, wissen Sie? Wie Flugzeugkonstrukteure … die Bezeichnung ist dafür wohl Metallermüdung. Sagen Sie's mir doch, wenn es bei Ihnen so ist.«
    Leamas erinnerte sich daran, wie er an diesem Morgen nach Hause geflogen war, und er machte sich seine Gedanken.
    »Wenn es so wäre«, fügte der Chef hinzu, »müßten wir einen anderen Weg finden, uns mit Mundt auseinanderzusetzen. Was mir vorschwebt, ist ein wenig ungewöhnlich.«
    Das Mädchen kam mit dem Kaffee herein. Sie stellte das Tablett auf den Schreibtisch und schenkte zwei Tassen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher