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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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Gesichter. Die Menschen wechselten, aber der Ausdruck ihrer Gesichter blieb der gleiche. Die Stimmung war wie bei einer hilflos auf einen Unfall starrenden Menge; niemand weiß, wie es geschehen ist und ob man den Körper wegtragen soll. Im Lichtkegel der Bogenlampen bildete Rauch oder Staub eine sich unablässig verschiebende Wolke.
    Leamas ging zum Wagen hinüber und sagte zu der Frau: »Wo ist er?«
    »Sie kamen ihn holen, aber er floh. Er hat das Rad genommen. Von mir konnten sie nichts gewußt haben.«
    »Wohin ist er gegangen?«
    »Wir hatten ein Zimmer über einer Kneipe - in der Nähe von Brandenburg. Dort verwahrte er ein paar Sachen, Geld, Papiere. Ich nehme an, dass er zuerst dorthin ist. Nachher wird er herüberkommen.«
    »Heute nacht?«
    »Er sagte, er würde heute nacht kommen. Die anderen wurden alle geschnappt - Paul, Viereck, Landser, Salomon. Er hat nicht viel Zeit.«
    »Landser auch?«
    »Letzte Nacht.«
    Ein Polizist stellte sich neben Leamas. »Sie müssen hier weiterfahren«, sagte er. »Es ist verboten, den Übergang zu blockieren.«
    »Gehen Sie zum Teufel«, fuhr Leamas ihn an. Der Deutsche erstarrte, aber die Frau sagte:
    »Steigen Sie ein. Wir fahren bis zur Ecke.« Er setzte sich neben sie, und sie fuhren langsam die Straße hinunter, auf eine Abzweigung zu.
    »Ich wußte nicht, dass Sie einen Wagen haben«, sagte Leamas.
    »Er gehört meinem Mann«, antwortete sie gleichgültig. »Karl hat Ihnen nie erzählt, dass ich verheiratet bin, nicht wahr?«
    Leamas schwieg.
    »Mein Mann und ich arbeiten für eine optische Firma. Sie lassen uns herüber, um Geschäfte zu machen. Karl nannte Ihnen nur meinen Mädchennamen. Er wollte mich nicht in diese Sache mit Ihnen hineinziehen.«
    Leamas zog einen Schlüssel aus der Tasche. »Sie werden irgendwo bleiben wollen«, sagte er. Seine Stimme klang matt. »Es gibt da eine Wohnung in der Albrecht-Dürer-Straße, neben dem Museum, Nummer 28a. Sie werden dort alles finden, was Sie brauchen. Ich rufe Sie an, sobald er kommt.«
    »Ich werde hier bei Ihnen bleiben.«
    »Ich bleibe nicht hier. Fahren Sie in die Wohnung. Ich werde Sie anrufen. Es hat jetzt keinen Sinn, hier zu warten.«
    Einen Augenblick starrte Leamas sie schweigend an.
    »Aber er kommt zu diesem Übergang.«
    Leamas sah sie überrascht an.
    »Das hat er Ihnen gesagt?«
    »Ja, er kennt dort einen der Vopos, den Sohn seines Vermieters. Es kann helfen, deshalb hat er diese Route gewählt.«
    »Und er hat Ihnen das gesagt?«
    »Er vertraut mir. Er hat mir alles erzählt.«
    Er gab ihr den Schlüssel und ging aus der Kälte in die Baracke am Kontrollpunkt zurück. Als er eintrat, sprachen die Polizisten leise miteinander; der größere drehte ihm ostentativ den Rücken zu. »Es tut mir leid«, sagte Leamas. »Es tut mir leid, dass ich Sie angeschrien habe.« Er öffnete eine zerfetzte Aktentasche und kramte darin herum, bis er fand, was er suchte: eine halbe Flasche Whisky. Der ältere Mann nahm sie mit einem Kopfnicken entgegen, goß jeden Becher halbvoll und füllte Kaffee nach.
    »Wo ist der Amerikaner hin?« fragte Leamas.
    »Welcher?«
    »Der Junge vom CIA, der bei mir war.«
    »Bettruhe«, sagte der ältere Mann, und alle lachten.
    Leamas stellte seinen Becher hin und sagte: »Wie lautet Ihr Schießbefehl für den Fall, dass ein Mann geschützt werden muß, der herüberkommt? Ich meine, ein Mann auf der Flucht.«
    »Wir können erst dann Deckungsfeuer geben, wenn die Vopos in unseren Sektor hineinschießen.«
    »Das heißt, Sie können nicht eher schießen, als bis der Mann über die Grenze ist.«
    Der ältere Mann sagte: »Wir können kein Deckungsfeuer geben, Herr …«
    »Thomas«, erwiderte Leamas, »Thomas«. Sie schüttelten einander die Hände, während die beiden Polizisten ihre Namen nannten.
    »Wir können wirklich kein Deckungsfeuer geben. Man sagt uns, es gäbe Krieg, wenn wir es täten.«
    »Das ist Unsinn«, sagte der jüngere Polizist, der vom Whisky mutig geworden war. »Wenn die Alliierten nicht hier wären, würde die Mauer jetzt schon verschwunden sein.«
    »Und Berlin auch«, murmelte der ältere Polizist.
    »Ich habe einen Mann, der diese Nacht herüberkommt«, sagte Leamas plötzlich.
    »Hier? An diesem Übergang?«
    »Es wäre viel wert, ihn herauszubekommen. Mundts Leute sind schon hinter ihm her.«
    »Es gibt noch Stellen, wo man herüberklettern kann«, sagte der jüngere Polizist.
    »Das ist nicht seine Art. Er wird sich seinen Weg durchbluffen; er hat Papiere,
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