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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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zu fühlen; er schaute über die Schulter, begann wild in die Pedale zu treten, beugte sich tief über die Lenkstange. Der einsame Posten stand noch auf der Straße. Er hatte sich umgewandt und beobachtete Karl. Dann leuchteten völlig unerwartet die Suchscheinwerfer auf. Weiß und klar richteten sie sich auf Karl und hielten ihn in ihrem Lichtkegel fest wie ein geblendetes Kaninchen im Scheinwerferlicht eines Autos. Man vernahm das an- und abschwellende Geheul einer Sirene, wild gerufene Befehle. Die beiden Polizisten vor Leamas gingen in die Knie und spähten durch die sandsackbewehrten Sehschlitze, während sie ihre Maschinengewehre entsicherten.
    Der ostdeutsche Wachtposten schoß, wobei er sorgfältig von ihnen weghielt, in seinen eigenen Sektor hinein. Der erste Schuß schien Karl nach vor zu werfen, der zweite ihn zurückzureißen. Irgendwie bewegte er sich noch immer. Er saß noch auf dem Rad und passierte den Wachtposten, der weiter auf ihn feuerte. Dann sackte er zusammen, rollte auf den Boden, und sie hörten ziemlich deutlich das Klappern des Rades, als es umfiel.
    Leamas hoffte inbrünstig, dass er tot sei.

2DAS RONDELL
    Er beobachtete, wie die Startbahn von Tempelhof unter ihm wegsank.
    Leamas war kein nachdenklicher Mann und nicht besonders philosophisch veranlagt. Er wußte, dass er abgeschrieben war - eine Tatsache, mit der er von jetzt an würde leben müssen, wie jemand mit seinem Krebsgeschwür oder in dem Bewußtsein leben muß, dass er eingesperrt ist. Er wußte, dass es kein Mittel gab, mit dessen Hilfe er die Kluft zwischen seinem bisherigen Dasein und der gegenwärtigen Situation hätte überbrücken können. Er nahm den Mißerfolg, wie er eines Tages wahrscheinlich den Tod hinnehmen würde: mit zynischem Groll und dem Mut des Einsamen. Er hatte länger als die meisten durchgehalten. Jetzt war er geschlagen worden. Man sagt, ein Hund lebe ebensolange wie seine Zähne. Im übertragenen Sinn waren Leamas die Zähne gezogen worden - und es war Mundt, der sie gezogen hatte.
    Zehn Jahre früher hätte er den anderen Weg gehen können, hätte in dem anonymen Regierungsgebäude am Cambridge Circus, dem Rondell, einen Schreibtischposten einnehmen und so lange behalten können, bis er weiß Gott wie alt geworden wäre. Aber er war nicht von dieser Sorte. Ebensogut, wie man von Leamas erwarten konnte, dass er seine Außenarbeit gegen das einseitige Theoretisieren und das verstohlene Selbstinteresse Whitehalls eintauschen würde, hätte man einen Jockey ersuchen können, Angestellter bei der Wettannahme zu werden. Im vollen Bewußtsein, dass die Personalabteilung seinen Akt bereits für die Überprüfung am Ende eines jeden Jahres vorgemerkt hatte, war er in Berlin geblieben: eigensinnig, trotzig, unempfänglich für Belehrungen, immer in der Hoffnung, dass sich irgend etwas ergeben würde. Geheimdienstarbeit kennt nur einen moralischen Grundsatz - sie wird allein durch ihre Resultate gerechtfertigt. Selbst die Sophisterei Whitehalls ehrte dieses Gesetz - Leamas erzielte Resultate. Bis Mundt kam.
    Es war seltsam, wie schnell Leamas begriffen hatte, dass Mundts Erscheinen ein böses Vorzeichen für ihn war.
    Hans-Dieter Mundt, vor zweiundvierzig Jahren in Leipzig geboren: Leamas kannte seinen Akt, kannte das Lichtbild auf der Innenseite des Einbanddeckels, dies leere, harte Gesicht unter dem strohblonden Haar. Er wußte die Geschichte von Mundts Aufstieg zur Macht, zum zweiten Mann in der »Abteilung« und zum eigentlichen Leiter der Operationen auswendig. Mundt war sogar innerhalb seines Amtes verhaßt.
    Leamas wußte all dies aus den Aussagen von Überläufern und von Riemeck, der als Mitglied des SED-Präsidiums gemeinsam mit Mundt in verschiedenen Sicherheitsausschüssen saß und ihn fürchtete. Zu Recht, wie sich später herausstellte, als Mundt ihn umbringen ließ.
    Bis 1959 war Mundt in der »Abteilung« ein untergeordneter Funktionär gewesen, der in London unter dem Deckmantel der ostdeutschen Stahlmission operierte. Nachdem er zwei seiner besten Agenten ermordet hatte, um seine eigene Haut zu retten, kehrte er Hals über Kopf nach Ostdeutschland zurück, und länger als ein Jahr hörte man nichts mehr von ihm. Ganz plötzlich tauchte er im Leipziger Hauptquartier der »Abteilung« wieder auf, und zwar als Verantwortlicher für die Zuteilung von Geldmitteln, Ausrüstungsmaterial und Personal für Sonderaufgaben. Am Ende desselben Jahres fand der große Machtkampf innerhalb der »Abteilung«
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