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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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eingesäumt war. Irgendwo über ihnen hörten sie eine Frauenstimme rufen. »Halt den Mund«, murmelte Leamas, während er ungeschickt eine rechtwinkelige Biegung des Weges nahm, der fast gleich darauf in eine breitere Straße mündete.
    »Wohin?« fragte er.
    »Geradeaus drüber - an der Apotheke vorbei - zwischen der Apotheke und dem Postamt - da!« Der Mann beugte sich so weit nach vorn, dass sein Gesicht fast zwischen ihren Köpfen war. Über die Schulter von Leamas hinweg zeigte er jetzt die Richtung an, wobei er seine Fingerspitze gegen die Windschutzscheibe preßte.
    »Setzen Sie sich zurück«, zischte Leamas. »Nehmen Sie Ihre Hand weg. Wie, zum Teufel, soll ich etwas sehen, wenn Sie mit Ihrer Hand so herumfuchteln?« Er drückte den Schalthebel in den ersten Gang und überquerte schnell die breite Straße. Als er dabei nach links schaute, bemerkte er erstaunt nur hundert Meter entfernt die gedrungene Silhouette des Brandenburger Tores und an dessen Fuß die unheimlich wirkende Ansammlung von Militärfahrzeugen.
    »Wohin fahren wir?« fragte Leamas plötzlich.
    »Wir sind fast da. Fahren Sie langsam jetzt. Links, links, fahren Sie nach links!« schrie er, und Leamas riß das Steuer gerade noch rechtzeitig herum. Sie fuhren durch einen engen Torbogen in einen Hof. Die Fensterscheiben in dem Gebäude fehlten zur Hälfte, teils waren die Öffnungen mit Brettern verschlagen; die leeren Eingänge gähnten sie an. Am anderen Ende des Hofes war ein offenes Tor. »Da durch«, kam der geflüsterte Befehl, »dann scharf rechts. Sie werden rechts eine Straßenlaterne sehen, die nächste dahinter ist kaputt. Wenn Sie an die zweite Laterne kommen, stellen Sie den Motor ab und rollen Sie weiter, bis Sie einen Hydranten sehen. Das ist es.«
    »Warum, zum Teufel, sind Sie nicht selbst gefahren?«
    »Er sagte, Sie sollten fahren. Er meinte, es wäre sicherer.«
    Sie passierten das Tor und bogen scharf nach rechts. Sie waren in einer engen Straße. Es war stockfinster.
    »Licht aus.«
    Leamas schaltete das Wagenlicht aus und fuhr langsam auf die erste Laterne zu. Weiter vorn war gerade noch die zweite zu sehen. Sie brannte nicht. Er stellte den Motor ab, und sie rollten lautlos weiter, bis sie acht Meter vor sich den schwachen Umriß des Hydranten wahrnahmen. Leamas bremste, der Wagen hielt.
    »Wo sind wir?« flüsterte Leamas. »Haben wir nicht die Leninallee überquert?«
    »Greifswalder Straße. Dann nordwärts. Wir sind nördlich der Bernauerstraße.«
    »Pankow?«
    »So ungefähr. Sehen Sie«, der Mann zeigte in eine Seitenstraße hinein. An ihrem Ende sahen sie ein kurzes Stück der Mauer. Es schimmerte graubraun im müden Licht der Bogenlampen. Oben waren drei Reihen Stacheldraht gespannt.
    »Wie soll das Mädchen über den Draht kommen?«
    »Er ist schon durchschnitten, wo Sie hinübersteigen. Es ist ein schmales Loch. Sie haben eine Minute, um die Mauer zu erreichen. Leben Sie wohl.«
    Sie hatten den Wagen verlassen, alle drei. Leamas nahm Liz am Arm, und sie wich zurück, als hätte er sie verletzt.
    »Leben Sie wohl«, sagte der Deutsche.
    Leamas flüsterte nur: »Lassen Sie den Motor nicht an, bis wir hinüber sind.«
    Liz blickte den Deutschen einen Moment an. In dem schwachen Licht hatte sie den flüchtigen Eindruck eines ängstlichen, jungen Gesichtes: das Gesicht eines Knaben, der tapfer zu sein versuchte.
    »Leben Sie wohl«, sagte Liz.
    Sie löste ihren Arm und folgte Leamas in die enge Straße, die zur Mauer führte.
    Als sie die Straße betraten, hörten sie den Wagen hinter sich starten, wenden und schnell in der Richtung, aus der sie gekommen waren, davonfahren.
    »Bring dich nur in Sicherheit, du Saukerl«, murmelte Leamas und blickte dem Wagen nach.
    Liz hörte ihn kaum.

26AUS DER KÄLTE HEREIN
    Sie gingen schnell. Von Zeit zu Zeit blickte Leamas über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass sie folgte. Als er das Ende der Gasse erreichte, blieb er stehen und trat dann in den Schatten eines Einganges. Er sah auf die Uhr.
    »Zwei Minuten«, flüsterte er.
    Sie sagte nichts. Sie starrte geradeaus auf die Mauer und die schwarzen Ruinen dahinter.
    »Zwei Minuten«, wiederholte Leamas.
    Vor ihnen war ein Streifen von zehn Metern. Er lief in beiden Richtungen an der Mauer entlang. Vielleicht fünfundzwanzig Meter zu ihrer Rechten war ein Wachtturm. Der Strahl seines Scheinwerfers spielte über den Streifen hin. Der dünne Regen hing in der Luft, so dass das Licht der Bogenlampe fahl und blaß
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