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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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haben und nicht nur irgendwen?« fuhr Liz fort.
    Leamas sagte: »Vielleicht. Sie denken ja nicht wirklich in solchen Begriffen. Es war eben für die Unternehmung nützlich.«
    »Ich hätte in diesem Gefängnis bleiben sollen, nicht wahr? Das wollte doch Mundt, oder nicht? Er hat keinen Grund gesehen, weshalb er das Risiko eingehen sollte - ich habe schon zuviel gehört und hätte noch mehr vermuten können. Schließlich war Fiedler unschuldig, nicht wahr? - Aber er ist ja nur ein Jude«, fügte sie erregt hinzu, »deshalb macht es nichts weiter, nicht wahr?«
    »Aber so hör doch auf!« rief Leamas.
    »Trotz allem ist es merkwürdig, dass Mundt mich gehen läßt - auch wenn es mit dir so abgemacht ist«, grübelte sie. »Ich stelle doch jetzt ein Risiko dar. Wenn wir nach England zurückkommen, meine ich. Ein Parteimitglied mit all dem Wissen … Es kommt mir unlogisch vor, dass er mich gehen ließ.«
    »Ich nehme an«, erwiderte Leamas, »dass er durch unsere Flucht dem Präsidium demonstrieren möchte, dass noch mehr Fiedlers in seinem Amt sitzen und gestellt werden müssen.«
    »Und noch mehr Juden?«
    »Es gibt ihm die Chance, seine Stellung zu sichern«, antwortete Leamas kurz angebunden.
    »Dadurch, dass er noch mehr Unschuldige umbringt? Es scheint dich nicht weiter zu berühren.«
    »Freilich berührt es mich. Es macht mich krank vor Scham und Ärger und … Aber ich bin anders erzogen worden, Liz! Ich kann es nicht nur in Schwarz und Weiß sehen. Menschen, die in diesem Spiel mitmachen, nehmen Risiken auf sich. Fiedler verlor, und Mundt gewann. London gewann, das ist der springende Punkt! Es war ein sehr schmutziges Unternehmen. Aber es hat sich gelohnt. Und hier gilt nur das.« Als er sprach, hob sich seine Stimme, bis er schließlich fast schrie.
    »Du versuchst ja, dich selbst zu überzeugen«, rief Liz. »Sie haben abscheulich gehandelt. Wie kannst du Fiedler umbringen - er war gut, Alec. Ich weiß, dass er gut war. Und Mundt …«
    »Worüber, zum Teufel, beschwerst du dich?« wollte Leamas wissen. »Deine Partei ist immer im Kampf, nicht wahr? Und opfert das Individuum für die Masse. Das sagt deine Partei selbst. Sozialistische Wirklichkeit: Tag und Nacht kämpfen - den gnadenlosen Kampf -, so sagen sie doch, nicht wahr? Wenigstens hast du überlebt. Ich habe nie gehört, dass die Kommunisten die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens gepredigt hätten. Nun, vielleicht habe ich es falsch verstanden«, fügte er sarkastisch hinzu. »Ich gebe zu, ja, ich gebe zu, dass du vielleicht dabei hättest umkommen können. Die Möglichkeit bestand. Mundt ist ein gemeines Schwein. Er sah keinen Sinn darin, dich überleben zu lassen. Sein Versprechen - ich nehme an, er gab ein Versprechen, für dich sein Bestes zu tun - ist nicht viel wert. Deshalb wärest du in einem Gefängnis des Arbeiterparadieses gestorben - heute, nächstes Jahr, in zwanzig Jahren. Vielleicht auch ich. Aber ich erinnere mich, dass die Partei auf die Vernichtung einer ganzen Klasse abzielt. Oder habe ich das falsch verstanden?«
    Er zog eine Packung Zigaretten aus seiner Jacke, und zusammen mit einer Schachtel Streichhölzer gab er ihr zwei. Ihre Finger zitterten beim Anzünden und als sie Leamas eine zurückgab.
    »Du hast diese Probleme alle gelöst, nicht wahr?« fragte sie.
    »Wir paßten zufällig gut in die Form«, beharrte Leamas, »und ich bedauere es. Ich bedauere auch die anderen, die in die Form passen. Aber beklage dich nicht über die Bedingungen, Liz! Es sind Parteibedingungen. Ein kleiner Preis für einen großen Gewinn. Einer geopfert für viele. Ich weiß, es ist nicht angenehm, darüber zu entscheiden, wer den Gedanken in der Praxis zu verwirklichen hat.«
    Sie hörte ihm zu, und in der Dunkelheit war ihr für einen Augenblick nichts anderes bewußt, als die vor ihnen zurückweichende Straße und das dumpfe Entsetzen in ihrem Inneren.
    »Aber sie ließen mich dich lieben«, sagte sie schließlich. »Und du ließest mich an dich glauben und dich lieben.«
    »Sie haben uns benützt«, antwortete Leamas erbarmungslos. »Sie betrogen uns beide, weil es nötig war. Es war der einzige Weg. Fiedler war schon verdammt nahe dem Ziel, begreifst du das nicht? Mundt war nahe daran, gefaßt zu werden, kannst du das nicht verstehen?«
    »Wie kannst du die ganze Welt verdrehen?« schrie Liz plötzlich. »Fiedler war gütig und anständig. Er tat nur seine Pflicht. Und jetzt habt ihr ihn umgebracht. Mundt ist ein Spion und Verräter, und
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