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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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ihr beschützt ihn. Mundt ist ein Nazi, weißt du das? Er haßt die Juden … Auf welcher Seite stehst du? Wie kannst du …«
    »In dem ganzen Spiel gibt es nur eine Regel«, antwortete Leamas. »Mundt ist ihr Mann, er gibt ihnen, was sie brauchen. Das ist leicht genug zu verstehen, oder nicht? Leninismus - die Zweckmäßigkeit zeitlich begrenzter Bündnisse. Was glaubst du, dass Spione seien: Priester, Heilige, Märtyrer? Sie sind eine schmutzige Prozession von hohlen Narren und Verrätern. Ja, auch von Schwulen, Sadisten und Trinkern. Von Leuten, die Räuber und Gendarm spielen, um ihrem erbärmlichen Leben etwas Reiz zu geben. Glaubst du, sie sitzen wie Mönche in London und wägen Recht gegen Unrecht ab? Ich würde Mundt getötet haben, wenn ich gekonnt hätte, ich hasse seinen Charakter. Aber nicht jetzt, da man ihn gerade braucht. Man braucht ihn, damit die große, dumme Masse, die du bewunderst, nachts ruhig in ihren Betten schlafen kann. Man braucht ihn für die Sicherheit gewöhnlicher, unscheinbarer Leute wie du und ich.«
    »Aber was ist mit Fiedler - empfindest du gar nichts für ihn?«
    »Dies ist ein Krieg«, antwortete Leamas. »Es wird besonders deutlich, wie unerfreulich er ist, weil er im kleinen Maßstab aus großer Nähe ausgetragen wird. Manchmal wird dabei unschuldiges Leben vergeudet, das gebe ich zu. Aber er ist nichts, überhaupt nichts, im Vergleich zu anderen Kriegen - dem letzten oder dem nächsten.«
    »O Gott«, sagte Liz schwach. »Du verstehst nicht. Du willst nicht verstehen. Du versuchst, dich selbst zu überzeugen. Was sie tun, ist doch viel schlimmer: sie spüren die menschlichen Gefühle in den Leuten auf - in mir und allen anderen, die sie benützen wollen - und verwandeln sie in ihren Händen zu Waffen, um damit zu verletzen und zu töten …«
    »Großer Gott«, rief Leamas. »Was sonst haben die Menschen getan, seit die Welt besteht? Ich glaube an nichts, verstehst du? Nicht einmal an Zerstörung oder Anarchie. Ich habe genug vom Töten, übergenug, aber ich sehe nicht, welche andere Möglichkeit sie hätten. Sie versuchen nicht, zu bekehren, sie stehen nicht auf Kanzeln oder Parteitribünen, um zum Kampf für Frieden oder für Gott oder für was auch immer aufzurufen. Sie sind die armen Hunde, die die Prediger daran zu hindern versuchen, einander in die Luft zu jagen.«
    »Du hast nicht recht«, erklärte Liz hoffnungslos. »Sie sind schlechter als wir alle.«
    »Weil ich mit dir ein Verhältnis hatte, als du glaubtest, ich sei ein Vagabund?« fragte Leamas wütend.
    »Weil sie alles verachten«, antwortete Liz. »Weil sie alles verachten, was wahr und gut ist: die Liebe, die …«
    »Ja«, stimmte Leamas plötzlich erschöpft zu. »Das ist der Preis, den sie zahlen: Gott und Karl Marx im selben Satz zu verachten. Wenn du das meinst.«
    »Du bist nicht anders«, fuhr Liz fort, »nicht anders als Mundt und der ganze Rest. Ich muß es ja wissen, ich bin diejenige gewesen, die herumgestoßen wurde, oder nicht? Von den anderen und von dir, von dir, weil es dir egal ist. Nur von Fiedler nicht … Aber ihr anderen alle habt mich behandelt, als ob ich nichts wäre … nur Währung, mit der man bezahlen kann. Ihr seid alle gleich, Alec.«
    »O Liz«, sagte er verzweifelt. »Glaube mir um Gottes willen. Ich hasse das alles, ich bin es leid. Aber es ist die Welt, es ist die Menschheit, die verrückt geworden ist. Wir wären doch nur ein kleiner Preis. Aber es ist überall das gleiche, Menschen, betrogen und irregeführt, ganze Leben weggeworfen, Menschen erschossen und im Gefängnis, ganze Gruppen und Klassen abgeschrieben - für nichts. Und deine Partei: Gott weiß, dass sie auf den Leibern gewöhnlicher Leute errichtet worden ist. Du hast nicht wie ich Menschen sterben gesehen, Liz …«
    Während er sprach, erinnerte sich Liz wieder des schäbigen Gefängnishofes und der Wärterin, die sagte: »Es ist ein Gefängnis für die, die den Aufbau verzögern … Für die, die ein Recht auf Irrtum zu haben glauben.«
    Leamas schaute plötzlich angespannt durch die Windschutzscheibe. Im Scheinwerferlicht des Wagens sah Liz einen Mann auf der Straße stehen. In der Hand hielt er eine kleine Lampe, die er an- und ausknipste, als sich der Wagen näherte. »Das ist er«, murmelte Leamas. Er schaltete die Scheinwerfer und den Motor ab, und ließ den Wagen lautlos weiterrollen. Als sie den Mann erreicht hatten, lehnte sich Leamas zurück und öffnete die hintere Tür. Liz drehte sich nicht um und
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