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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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wenn die noch gut sind. Er besitzt ein Fahrrad.«
    Es gab nur ein Licht im Kontrollpunkt, eine Leselampe mit grünem Schirm, aber der Schein der Bogenlampen fiel wie künstliches Mondlicht in die Baracke. Die Dunkelheit war gekommen, und mit ihr die Stille. Sie sprachen, als hätten sie Angst, belauscht zu werden. Leamas ging zum Fenster und wartete, vor sich die Straße und zu beiden Seiten die Mauer, ein schmutziges, häßliches Ding aus Betonblöcken und Stacheldraht, beleuchtet von billigem gelben Licht wie die Rückseite eines Konzentrationslagers. Östlich und westlich der Mauer lag der unaufgebaute Teil Berlins, eine Halbwelt der Zerstörung, auf zwei Dimensionen beschränkt, eine Kriegslandschaft.
    Dieses verdammte Weib, dachte Leamas, und Karl, dieser Idiot, der über sie nicht die Wahrheit gesagt hatte. Gelogen durch Unvollständigkeit, wie es alle Agenten auf der ganzen Welt machen. Du lehrst sie betrügen, damit sie ihre Spur verwischen können, und genauso betrügen sie dich. Er hatte sie nur einmal vorgeführt. Das war letztes Jahr nach diesem Abendessen in der Schürzstraße gewesen. Karl war gerade ein ganz großer Wurf geglückt, und der Chef hatte ihn sprechen wollen. Der Chef nahm immer Anteil, wenn jemand erfolgreich war. Sie hatten gemeinsam zu Abend gegessen, Leamas, der Chef und Karl. Karl liebte so etwas. Er erschien wie ein Sonntagsschüler, gestriegelt und gebügelt, seinen Hut in der Hand, und voll Respekt. Der Chef hat ihm eine Ewigkeit die Hand geschüttelt und gesagt: »Ich möchte, dass Sie wissen, wie erfreut wir sind, Karl, höchst erfreut.« Leamas hatte zugeschaut und gedacht: Das wird uns weitere zweihundert Pfund pro Jahr kosten.
    Als sie ihr Essen beendet hatten, schüttelte ihnen der Chef nochmals die Hände, nickte bedeutungsvoll und kletterte - während er durchblicken ließ, er müsse sich nun aufmachen, um sein Leben irgendwo anders zu riskieren - in den wartenden Wagen. Dann hatte Karl gelacht, und Leamas hatte gelacht, und gemeinsam hatten sie dem Sekt den Garaus gemacht, während sie noch immer über den Chef lachten. Hinterher waren sie zum »Alten Faß« gegangen. Karl hatte darauf bestanden, und dort wartete Elvira auf sie, eine etwa vierzigjährige stahlharte Blondine.
    »Das ist mein bestgehütetes Geheimnis, Alec«, hatte Karl gesagt, und Leamas war wütend geworden. Später hatten sie ihretwegen gestritten.
    »Wieviel weiß sie? Wer ist sie? Wie bist du ihr begegnet?«
    Karl wurde trotzig und verweigerte die Antwort. Danach lief alles schlecht. Leamas versuchte, die Kontaktmethode zu ändern, die Treffpunkte und Stichworte zu wechseln, aber Karl sah das nicht gern. Er wußte, welcher Grund dahintersteckte, und das gefiel ihm nicht.
    »Dein Mißtrauen ihr gegenüber käme sowieso zu spät«, hatte er gesagt, und Leamas verstand den Wink und hielt seinen Mund. Aber nach dieser Geschichte wurde er vorsichtig. Er erzählte Karl viel weniger und wandte mehr vom Hokuspokus der Spionagetechnik an.
    Und da war sie jetzt, dort draußen im Wagen, über alles informiert, über das ganze Spionagenetz, die Ausweichwohnung, alles; und Leamas schwor sich - nicht zum erstenmal - einem Agenten nie wieder zu trauen.
    Er ging zum Telefon und wählte die Nummer seiner Wohnung. Frau Martha war am Apparat. »Wir haben Gäste in der Dürerstraße«, sagte Leamas, »einen Mann und eine Frau.«
    »Verheiratet?« fragte Martha.
    »Beinahe«, sagte Leamas, und sie lachte dieses furchtbare Lachen. Als er den Hörer auflegte, wandte sich einer der Polizisten zu ihm: »Herr Thomas! Schnell!«
    Leamas ging zum Beobachtungsfenster. »Ein Mann, Herr Thomas«, wisperte der jüngere Polizist, »mit einem Fahrrad.«
    Leamas hob den Feldstecher.
    Es war Karl, die Gestalt war unverkennbar, selbst auf diese Entfernung, in einen alten Wehrmachtsgummimantel gehüllt, sein Fahrrad schiebend. Er hat's geschafft, dachte Leamas, er muß es geschafft haben, er ist durch die Ausweiskontrolle durch, er hat nur noch Währung und Zoll vor sich. Leamas beobachtete, wie Karl sein Rad gegen das Geländer lehnte, sah ihn gleichgültig zur Zollbaracke gehen. Übertreibe es nicht, dachte er. Schließlich kam Karl heraus, winkte gutgelaunt dem Mann an der Schranke zu, und der rot-weiße Schlagbaum ging langsam hoch. Er kam durch, er kam auf sie zu, er hatte es geschafft. Nur noch der Vopo in der Straßenmitte, die Grenzlinie, und dann Sicherheit.
    In diesem Moment schien Karl irgendeinen Laut zu hören, irgendeine Gefahr
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