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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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Auf Eis?«
    »Besser, Sie warten, bis es der Chef Ihnen sagt, alter Junge.«
    »Wissen Sie es?«
    »Freilich.«
    »Weshalb sagen Sie es mir dann nicht, zum Teufel?«
    »Tut mir leid, alter Junge«, antwortete Fawley, und Leamas war plötzlich nahe daran, seine Beherrschung zu verlieren. Dann sagte er sich, dass Fawley ihn höchstwahrscheinlich ohnehin anlügen würde.
    »Gut, aber sagen Sie mir eines, wenn's Ihnen nichts ausmacht: Muß ich mich in London um eine Wohnung kümmern?«
    Fawley kratzte sich am Ohr. »Ich glaube nicht, alter Junge, nein.«
    »Nein? Gott sei Dank.«
    Sie stellten den Wagen unweit des Cambridge Circus an einer Parkuhr ab und betraten gemeinsam das Gebäude.
    »Sie haben keinen Passierschein, nicht wahr? Es wäre besser, Sie füllten einen Zettel aus.«
    »Seit wann müssen wir Passierscheine haben? McCall kennt mich so gut wie seine eigene Mutter.«
    »Neue Anweisung. Das Rondell wächst, wissen Sie.«
    Leamas erwiderte nichts, nickte McCall zu und bestieg den Lift ohne Passierschein.
    Der Chef schüttelte ihm die Hand, mit der vorsichtigen Geste eines Arztes, der die Knochen betastet.
    »Sie müssen schrecklich müde sein«, sagte er entschuldigend. »Nehmen Sie doch Platz.« Die gleiche langweilige Stimme. Derselbe überhebliche Ton.
    Leamas setzte sich in einen Sessel, der einem olivgrünen Ofen gegenüberstand, auf dem eine Schale Wasser balancierte.
    »Finden Sie es kalt?« fragte der Chef. Er beugte sich, seine Hände reibend, über den elektrischen Ofen. Er trug eine schäbige braune Strickweste unter seiner schwarzen Jacke. Leamas erinnerte sich nun an die Frau des Chefs, eine dumme kleine Person namens Mandy, die anscheinend glaubte, ihr Mann sitze in der Kohlenbehörde. Leamas nahm an, sie habe die Weste gestrickt.
    »Es ist so trocken, das ist der Haken«, fuhr der Chef fort. »Vertreibe die Kälte, und du versengst die Luft; das ist genauso gefährlich.«
    Er ging zum Schreibtisch und drückte einen Knopf. »Wir wollen versuchen, etwas Kaffee zu bekommen«, sagte er. »Ginnie hat Urlaub, das ist Pech. Man hat mir irgendein neues Mädchen gegeben. Wirklich zu dumm.«
    Er war kleiner, als ihn Leamas in Erinnerung hatte, aber sonst war er derselbe geblieben. Dieselbe affektierte Art, Abstand zu wahren, dieselbe steife Überheblichkeit, dieselbe Angst vor der Zugluft. Er war auf eine Weise höflich, die Leamas' Wesen völlig fremd war. Er hatte dasselbe nichtssagende Lächeln wie immer, die gleiche Geziertheit, und er klammerte sich noch immer um Entschuldigung bittend an einer Etikette fest, die er doch angeblich so lächerlich fand. Er schwatzte dasselbe abgedroschene Zeug.
    Er holte eine Packung Zigaretten vom Schreibtisch und bot Leamas eine an.
    »Sie werden feststellen, dass diese hier teurer sind«, sagte er, und Leamas nickte pflichtbewußt. Der Chef steckte die Zigaretten in seine Tasche und setzte sich. Es entstand eine Pause; schließlich sagte Leamas: »Riemeck ist tot.«
    »Tatsächlich«, bemerkte der Chef, als ob Leamas eine sehr treffende Bemerkung gemacht hätte. »Es ist sehr bedauerlich, außerordentlich … Ich nehme an, das Mädchen ließ ihn hochgehen - Elvira?«
    »So wird es wohl sein.« Leamas würde ihn nicht fragen, woher er das Wissen über Elvira hatte.
    »Und Mundt ließ ihn erschießen?«
    »Ja.«
    Der Chef stand auf und schlenderte auf der Suche nach einem Aschenbecher durchs Zimmer. Er fand einen und stellte ihn unbeholfen zwischen ihren Stühlen auf den Boden. »Was haben Sie empfunden? Als Riemeck erschossen wurde, meine ich. Sie beobachteten es, nicht wahr?«
    Leamas zuckte mit den Achseln. »Ich war verdammt ärgerlich«, sagte er.
    Der Chef legte den Kopf auf die Seite und schloß halb die Augen. »Sie haben sicher mehr als das empfunden? Sie waren gewiß aus der Fassung gebracht? Das wäre nur natürlich.«
    »Ich war aus der Fassung gebracht. Wer würde das nicht sein?«
    »Mochten Sie Riemeck als Mensch?«
    »Ich glaube ja«, sagte Leamas hilflos. Dann fügte er hinzu: »Es hat nicht viel Sinn, sich mit diesen Dingen zu befassen.«
    »Wie verbrachten Sie die Nacht oder was davon übrigblieb, nachdem Riemeck erschossen worden war?«
    »Hören Sie, was soll das?« fragte Leamas aufgebracht, »worauf wollen Sie hinaus?«
    »Riemeck war der letzte«, überlegte der Chef, »der letzte in einer Reihe von Todesfällen. Wenn ich mich recht erinnere, begann es mit dem Mädchen, das sie am Wedding erschossen, außerhalb des Kinos. Dann kamen der Mann in
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