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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam
Autoren: John le Carré
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man ihn dazu, wieder zurückzukehren. Was seine Pension betraf, so war dies Pech, ganz entschieden Pech, wie die Buchhaltung in Gestalt Elsies hatte durchblicken lassen. Elsie erzählte in der Kantine, dass der arme Alec Leamas wegen der Unterbrechung seiner Dienstzeit pro Jahr nur vierhundert Pfund zum Leben haben würde. Elsie war der Meinung, diese Regelung müßte wirklich geändert werden, schließlich hatte Mr. Leamas seinen Dienst getan - oder etwa nicht? Aber so war man dran, mit dem Schatzamt im Nacken. Kein Vergleich mehr mit früher, und was konnte man schon tun? Selbst während der schlechten Tage unter Maston waren die Dinge besser geregelt worden.
    Leamas, so wurde den neuen Leuten erzählt, sei noch von der alten Schule: gute Familie, Zivilcourage und Kricket - und ein Schulzeugnis in Französisch. In Leamas' Fall war dies ungerecht, da er Deutsch wie seine Muttersprache beherrschte und sein Holländisch bewundernswert war. Auch verabscheute er Kricket. Aber es stimmte, dass er keinen akademischen Titel besaß.
    Da sein Vertrag aber erst in einigen Monaten ablief, steckte man Leamas in die Bankabteilung, damit er seine Zeit absitze. Die Bankabteilung war nicht mit der Buchhaltung zu verwechseln: sie befaßte sich mit Überweisungen ins Ausland, mit der Finanzierung von Agenten und Operationen. Die meisten dieser Arbeiten hätten von einem Bürolehrling erledigt werden können, hätte nicht die Notwendigkeit der Geheimhaltung eine große Rolle gespielt. So aber war die Bankabteilung eine jener Dienststellen des Secret Service, die als Aufbahrungsort für Beamte galt, welche man in Kürze begraben wollte.
    Leamas' Leistungen ließen nach. Allgemein glaubt man, der Leistungsabfall sei ein langwieriger Vorgang, aber bei Leamas war das nicht der Fall. Innerhalb weniger Monate verwandelte er sich unter den Augen seiner Kollegen aus einem ehrenhaft entlassenen Mann zu einem grollenden, betrunkenen Wrack. Trunkenbolde zeigen manchmal, besonders wenn sie nüchtern sind, eine Stumpfsinnigkeit, eine Art Losgelöstsein, die auf den Unaufmerksamen wie Zerstreutheit wirkt und die sich Leamas m it unnatürlicher Eile anzueignen schien. Er entwickelte kleine Unredlichkeiten, lieh sich von Büroangestellten unbedeutende Summen aus und versäumte es, sie zurückzugeben, und oft kam er unter einem hingemurmelten Vorwand zu spät ins Büro oder ging früher weg. Im Anfang behandelten ihn seine Kollegen mit Nachsicht. Vielleicht wurden sie durch seinen Verfall in derselben Weise wie durch den Anblick von Krüppeln, Bettlern oder Invaliden erschreckt, der einen befürchten läßt, man könnte selbst einmal in ihre Situation geraten, aber am Ende isolierte ihn seine Nachlässigkeit, seine brutale, blinde Boshaftigkeit.
    Sehr zum Erstaunen der Leute schien es Leamas nichts auszumachen, dass er abgeschoben worden war. Seine Willenskraft schien plötzlich zusammengebrochen zu sein. Neu eingestellte Sekretärinnen, die nicht glauben mochten, dass Geheimdienste von gewöhnlichen Sterblichen bevölkert sind, wurden von der Feststellung beunruhigt, dass Leamas ganz entschieden verlotterte. Er gab immer weniger acht auf sein Äußeres, nahm immer weniger Notiz von seiner Umgebung. Mittags aß er in der Kantine, was normalerweise den jüngeren Angestellten vorbehalten war, und es wurde gemunkelt, dass er trinke. Er wurde ein Einzelgänger, da er nun zu jener tragischen Klasse von aktiven Männern gehörte, die vorzeitig ihrer Aktivität beraubt wurden, wie Schwimmer, denen das Wasser verboten ist, oder wie Schauspieler, die man von der Bühne verbannt hat.
    Einige sagten, sein Netz sei aufgerollt worden, weil er in Berlin Fehler gemacht habe, aber niemand wußte etwas Bestimmtes. Alle waren sich einig, dass er mit ungewöhnlicher Härte behandelt worden war, selbst wenn man die Maßstäbe einer Personalabteilung anlegte, die sich keineswegs durch besondere Menschenfreundlichkeit auszeichnete. Wenn er vorüberging, zeigte man heimlich auf ihn, wie auf einen früher berühmten Sportler, und sagte: »Das ist Leamas. Er hat in Berlin Pech gehabt. Traurig, wie er sich gehenläßt.«
    Und dann war er eines Tages verschwunden. Er nahm von niemandem Abschied, offenbar nicht einmal vom Chef. An sich war das nicht überraschend. Die Natur des Geheimdienstes schließt kunstvolle Verabschiedungen und die Überreichung von goldenen Uhren aus, aber selbst nach diesem Maßstab schien Leamas' Abgang äußerst plötzlich zu sein. Soweit man es
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