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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder
Autoren: Nicci French
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aufgelegt.
    Louise hatte darauf bestanden und mich in die Lehrerinnentoilette geschoben, wohin sie mir mit einer Bürste in der Hand gefolgt war. Nun bereute ich, dass ich mir nicht mehr Mühe gegeben hatte. In meinem alten cremefarbenen Kleid mit dem schiefen Saum fühlte ich mich vor den beiden Männern ziemlich unbehaglich.
    »Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, bevor Sie beschlossen, mit der Melone auf ihn loszugehen?«
    »Ich habe es einfach getan. Ohne nachzudenken.«
    »Dann hatten Sie also keine Angst?«
    »Nein. Dazu blieb mir gar keine Zeit.«
    Er kritzelte meine Antworten in sein Notizbuch.
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er sich klügere, amüsantere Kommentare von mir erwartet hatte.
    »Wo kommen Sie her? Für ein blondes Mädchen wie Sie ist Haratounian ein ungewöhnlicher Name.«
    »Aus einem Dorf in der Nähe von Sheffield.«
    »Dann sind Sie also neu in London.« Er wartete nicht auf meine Antwort. »Und Sie unterrichten die ganz Kleinen, richtig?«
    »Ja, die so genannte Anfängerklasse.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Dreiundzwanzig.«
    »Mmm.« Er betrachtete mich mit dem prüfenden Blick eines Bauern, der auf einer Viehauktion ein nicht sehr viel versprechendes Tier in Augenschein nimmt. »Wie viel wiegen Sie?«
    »Was? Knapp fünfzig Kilo, glaube ich.«
    »Fünfzig Kilo«, wiederholte er und lachte in sich hinein.
    »Phantastisch. Und der Typ war ein richtiger Schrank, nicht wahr?« Er saugte an seinem Stift. »Glauben Sie, unsere Gesellschaft wäre menschlicher, wenn sich jeder so engagieren würde wie Sie?«
    »Na ja, vielleicht, ich weiß auch nicht …« Ich versuchte krampfhaft, einen zusammenhängenden Satz zu Stande zu bringen. »Ich meine, was, wenn die Melone ihr Ziel verfehlt oder jemand anderen getroffen hätte?«
    Zoë Haratounian, die Sprecherin der sprachlosen Jugend.
    Der Journalist runzelte die Stirn und machte sich nicht mal die Mühe, so zu tun, als würde er sich meine Worte notieren.
    »Wie fühlt man sich als Heldin?«
    Bis dahin hatte ich das alles irgendwie amüsant gefunden, aber allmählich begann es mich zu nerven.
    Natürlich gelang es mir nicht, das in einigermaßen sinnvolle Worte zu fassen. »Es ist einfach passiert«, erklärte ich. »Ich möchte mich deswegen nicht auf irgendein Podest heben. Wissen Sie, ob es der Frau, die von dem Kerl überfallen worden ist, schon wieder besser geht?«
    »Ja, sie hat nur ein paar gebrochene Rippen, und ein paar neue Zähne wird sie wohl auch brauchen.«
    »Ich glaube, wir nehmen sie mit der Melone auf«, meldete sich der jugendliche Fotograf zu Wort.
    »Ja, die Story hätten wir«, sagte Bob und nickte.
    Er hob die Frucht aus dem Regal und wankte damit zu uns herüber. »Nicht schlecht«, meinte er, als er sie mir auf den Schoß legte. »Kein Wunder, dass Sie ihn bewusstlos geschlagen haben. So, und jetzt sehen Sie mich an. Das Kinn ein bisschen höher. Immer schön lächeln, meine Liebe! Sie haben schließlich gewonnen, nicht wahr?
    Wunderbar!«
    Ich lächelte, bis mir das Gesicht wehtat. Durch die Tür sah ich Louise zu uns hereinspähen und wie wild grinsen.
    Am liebsten hätte ich losgeprustet.
    Als Nächstes wollte er die Melone und mich zusammen mit den Kindern fotografieren. Ich mimte das strenge viktorianische Schulfräulein. Der Fotograf schlug vor, ich solle die Melone aufschneiden. Ihr fasriges Inneres hatte einen dunklen, satten Rosaton, der zum Rand hin blasser wurde, war von glänzenden schwarzen Kernen durchsetzt und verströmte ein frisches Aroma. Ich teilte sie in zweiunddreißig Portionen auf: eine für jedes Kind und eine für mich. Mit je einem Melonenstück in der Hand standen meine Schüler auf dem glühend heißen Asphaltspielplatz um mich herum und lächelten für die Kamera. Und jetzt alle zusammen. Eins, zwei, drei, Cheese!

    Das Lokalblatt erschien am Freitag, mit einem riesigen Foto von mir auf der Titelseite. Es zeigte mich umringt von Kindern und Melonenscheiben. »Die Melonenheldin!«, lautete die Schlagzeile. Nicht besonders originell. Daryl hatte einen Finger in der Nase, und Roses Rock steckte in ihrer Unterhose, aber ansonsten war es in Ordnung. Pauline schien zufrieden. Sie hängte den Artikel an das schwarze Brett in der Eingangshalle, wo ihn die Kinder ziemlich schnell zerfetzten, und eröffnete mir dann, eine große Zeitung habe angerufen und wolle ebenfalls einen Artikel über die Geschichte bringen. Sie hatte provisorisch bereits einen weiteren Interview- und Fototermin
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