Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Auch bei Kricketschlägern gibt es die genau richtige Stelle, ebenso wie bei Tennis- und Baseballschlägern. Und dieser Handtaschendieb erwischte meine Wassermelone an der genau richtigen Stelle, exakt am perfekten Punkt ihrer Rundung. Mit einem erstaunlich dumpfen Geräusch knallte sie in seinen Magen. Dann stieß er zischend die Luft aus und ging zu Boden, als würde in seiner Kleidung plötzlich kein Körper mehr stecken. Es sah aus, als würden seine Sachen versuchen, sich auf dem Asphalt selbstständig zusammenzufalten.
    Er ging nicht zu Boden wie ein gefällter Baum, sondern wie ein großes Gebäude, das nahe am Fundament durch Sprengstoff zum Einstürzen gebracht wird. Erst steht es noch in voller Größe da, und ein paar Sekunden später sind nur noch Staub und Geröll übrig.
    Ich hatte keinerlei Plan für den Fall, dass der Mann aufstehen und auf mich losgehen würde. Meine Wassermelone ließ sich nicht nachladen. Aber der Typ war gar nicht in der Lage aufzustehen. Nachdem er ein paar schwache Versuche unternommen hatte, sich mit den Armen hochzustemmen, war er bereits von einer Menschenmenge umringt, sodass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Da fiel mir die Frau wieder ein. Ein paar Leute stellten sich mir in den Weg und wollten mich ansprechen, aber ich schob mich an ihnen vorbei. Ich fühlte mich benommen und seltsam euphorisch. Am liebsten hätte ich gelacht oder wild drauflos gequasselt, aber der Zustand der Frau hatte nichts Lustiges an sich. Sie lag verdreht und in sich zusammengesunken mit dem Gesicht nach unten auf dem Gehsteig. Auf dem Boden war ziemlich viel Blut, das sehr dunkel und dick aussah. Einen Moment lang dachte ich, sie sei tot, aber dann bemerkte ich das seltsame Zucken ihres Beins. Sie trug ein schickes Kostüm mit einem ziemlich kurzen grauen Rock. Plötzlich stellte ich mir vor, wie sie an diesem Morgen gefrühstückt hatte und zur Arbeit gefahren war. Wie sie sich nach der Arbeit auf den Heimweg gemacht und vielleicht schon Pläne für den Abend geschmiedet hatte, und dann passierte plötzlich so was und veränderte ihr ganzes Leben. Warum hatte sie die blöde Tasche nicht einfach losgelassen? Vielleicht hatte sich ihr Arm im Riemen verfangen.
    Die Leute standen um sie herum und sahen sich unbehaglich an. Uns allen wäre es am liebsten gewesen, irgendjemand Offizielles – ein Arzt, ein Polizist oder sonst jemand in Uniform – wäre vorgetreten, um die Sache in die Hand zu nehmen, aber da war niemand.
    »Ist denn kein Arzt hier?«, fragte eine alte Frau neben mir.
    Verdammter Mist. Ich hatte im zweiten Semester meiner Lehrerinnenausbildung einen zweitägigen Erstehilfekurs absolviert.
    Also trat ich vor und kniete mich neben die Frau. Rund um mich herum ließ die allgemeine Anspannung spürbar nach. Ich wusste höchstens, wie man Kleinkindern Medikamente verabreichte, ansonsten aber konnte ich mich an nichts Brauchbares erinnern, außer an eine der Grundregeln: »Im Zweifelsfall gar nichts tun.«
    Die Frau war bewusstlos. Gesicht und Mund waren blutverschmiert. Noch etwas fiel mir wieder ein. »Die stabile Seitenlage.« So sanft ich konnte, drehte ich ihr Gesicht zu mir herum. Hinter mir schnappten die Leute nach Luft oder schrien entsetzt auf.
    »Hat schon jemand einen Krankenwagen gerufen?«, fragte ich.
    »Ja, auf meinem Handy«, antwortete eine Stimme.
    Ich holte tief Luft und schob meine Finger in den Mund der Frau. Sie hatte rotes Haar und sehr helle Haut. Sie war jünger, als ich zunächst gedacht hatte, und in normalem Zustand wohl ziemlich schön. Einen Moment lang fragte ich mich, welche Farbe die Augen hinter ihren geschlossenen Lidern hatten. Dann begann ich, das gestockte Blut aus ihrem Mund zu entfernen. Als mein Blick auf meine Hand fiel, entdeckte ich dort einen Zahn oder zumindest ein Stück davon. Aus der Kehle der Frau drang ein Stöhnen, gefolgt von einem Hustenanfall.
    Wahrscheinlich ein gutes Zeichen. Ganz in unserer Nähe hörte ich eine laute Sirene. Als ich hochschaute, wurde ich bereits von einem Mann in Uniform beiseite geschoben.
    Das war mir nur recht.
    Mit der linken Hand bekam ich in meiner Tasche ein Papiertaschentuch zu fassen und wischte damit sorgfältig das Blut von meinen Fingern. Meine Melone. Sie war mir abhanden gekommen. Entschlossen machte ich kehrt, um nach ihr zu suchen. Der Handtaschendieb hatte sich inzwischen aufgesetzt. Zwei Polizeibeamte, ein Mann und eine Frau, sahen auf ihn hinunter. Mein Blick fiel auf die blaue
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher