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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder
Autoren: Nicci French
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Wimpern, die zu viel blinzeln. Schmale Lippen, eine Spur von Lippenstift in den Mundwinkeln. Sie beugt unter der Hitze die Schultern, hebt einen Arm, um sich die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Unter ihrer Achsel schimmern kupferrote Haarstoppeln, vielleicht ein paar Tage alt. Auch ihre Beine sind stoppelig. Sie würden sich anfühlen wie feuchtes Sandpapier. Ihre Haut wirkt fleckig, und das Haar klebt ihr an der Stirn. Sie hasst die Hitze, lässt sich von ihr unterkriegen.
    Ganz anders die mit dem großen Busen, dem wabbeligen Bauch und dem dichten dunklen Haar. Man möchte meinen, bei ihrem Gewicht würde sie stärker unter der Temperatur leiden, aber sie lässt die Sonne in sich hinein, kämpft nicht dagegen an. Ich sehe, wie sie ihren fetten, weichen Körper für die Hitze öffnet. Ihr grünes Shirt ist unter den Armen nass, der Schweiß läuft ihr am Hals hinunter, vorbei an den dicken, geraden Flechten ihres Haars. Ihre dichte Achselbehaarung verrät mir, wie der Rest ihres Körpers aussieht. Sie hat einen dunklen Damenbart und einen Mund wie eine reife Pflaume, rot und feucht. Ihre weißen Zähne beißen in ein Brötchen, das mit braunem, wachsigem Papier umwickelt ist. Ein kleines Stück Tomate klebt an ihrer Oberlippe, und ihr Kinn ist fettverschmiert, aber sie wischt es nicht ab. Ihr Rock verfängt sich zwischen den Pobacken und rutscht ein wenig hoch.
    Die Hitze kann Frauen abstoßend machen. Manche von ihnen trocknen total aus, wie Insekten in der Wüste. Sie bekommen vor Trockenheit tiefe Furchen im Gesicht, Lippen wie Pergament, ein Kreuzmuster aus Falten unter den Augen. Die Sonne entzieht ihnen all ihre Feuchtigkeit.
    Das passiert vor allem den älteren Frauen, die deswegen versuchen, ihre crêpe-artigen Arme unter langen Ärmeln und das Gesicht unter einem Hut zu verbergen. Andere Frauen beginnen einen ranzigen, fauligen Geruch zu verströmen. Wenn sie in meine Nähe kommen, kann ich sie riechen. Unter ihrem Deo, dem Duft ihrer Seife und dem Parfüm, das sie sich auf die Handgelenke und hinters Ohr getupft haben, wittere ich den Geruch von Reife und Verfall.
    Manche aber blühen auf wie Blumen im Sonnenlicht, sauber und frisch. Ihre Haut wirkt glatt, ihr Haar glänzt wie Seide, egal, ob es zurückgebunden ist oder locker ihr Gesicht umspielt. Ich sitze auf einer Parkbank und sehe zu, wie sie einzeln oder in Gruppen an mir vorübergehen und dabei ihre heißen Füße in das ausgebleichte Gras pressen. Die Sonne taucht sie in gleißendes Licht. Die Schwarze mit dem gelben Kleid, der schimmernden Haut und dem üppigen, glänzenden Haar. Ich höre sie im Vorbeigehen lachen, das raue Geräusch scheint von einem geheimen Ort tief im Innern ihres starken Körpers zu kommen. Mein besonderes Augenmerk gilt dem, was im Schatten liegt; der Falte in der Achselhöhle, der Hinterseite des Knies, der dunklen Region zwischen den Brüsten. Den verborgenen Stellen der Frauen, von denen sie glauben, dass niemand sie sieht.
    Manchmal sehe ich auch, was sie unter ihren Sachen tragen. Die Frau mit dem ärmellosen weißen Shirt und dem BH-Träger, der ihr immer wieder über die Schulter rutscht. Er hat einen Graustich und Flecke vom häufigen Tragen. Sie ist in ein frisches Shirt geschlüpft, hat sich aber nicht die Mühe gemacht, auch einen sauberen BH
    anzuziehen. Mir fallen diese Dinge auf. Der Unterrock, der unter dem Saum hervorlugt. Der abgeblätterte Nagellack. Der mit Abdeckstift übermalte Pickel. Der Knopf, der nicht zu den Übrigen passt. Der Fleck auf der Hose, der Schmutzrand am Kragen. Der Ring, der mit den Jahren so eng geworden ist, dass er den Finger einschnürt.
    Sie gehen an mir vorbei. Ich sehe sie durch ein Fenster, wenn sie sich allein wähnen. Die Frau, die nachmittags in ihrer Küche schläft, in dem Haus an der ruhigen Straße, durch die ich manchmal gehe. Ihre Kopfhaltung wirkt unbequem – gleich wird sie mit einem Ruck hochschrecken, sich fragen, wo sie ist –, und ihr schlaffer Mund steht offen. Über ihre Wange zieht sich eine dünne Linie aus Speichel, wie die Spur einer Schlange.
    Das Kleid, das sich beim Einsteigen ins Auto hochschiebt und ein Stück Slip hervorblitzen lässt. Dellige Oberschenkel.
    Der Knutschfleck unter dem sorgfältig hindrapierten Schal.
    Der Bauchnabel einer Schwangeren, der sich durch den dünnen Stoff ihres Kleides drückt.
    Die Milchspuren auf der Bluse einer jungen Mutter; der kleine Speichelfleck an der Stelle, wo der Kopf des Babys an ihrer Schulter
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