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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder
Autoren: Nicci French
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freuen«, meinte er.
    »Hast du schon mal von den Yakuza-Gangs in Japan gehört? Bevor sie dich umbringen, tun sie dir alles Mögliche an, bis du bewusstlos wirst. Dann schleppen sie dich nach draußen und fahren immer wieder mit einem Auto über dich, bis sie dir sämtliche Knochen gebrochen haben. Es gibt da so eine Theorie, dass das menschliche Schmerzempfinden auf einer sehr niedrigen Stufe einsetzt, sodass man auch dann noch Schmerzen fühlt, wenn man im Koma liegt oder stirbt.«
    »Nette Theorie«, bemerkte ich und zog eine Grimasse.
    »Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, dass ich Morris auch so was in der Art antun sollte. Wenn ich daran denke, dass er dauernd mit mir rumhing und dabei wahrscheinlich die ganze Zeit an das dachte, was er mit Mum gemacht hatte …«
    »Ich nehme an, das war ein Teil des Kicks.«
    »Inzwischen denke ich mir: Was soll’s! Vielleicht wenn er rauskommt.«
    »Der kommt erst wieder raus, wenn er ein alter Tattergreis ist.«
    »Ein alter Tattergreis mit einem arthritischen Knie«, fügte Josh mit einem Grinsen hinzu.
    »Ich hoffe es. Fred kommt bestimmt schneller wieder frei. Ich habe mit Links darüber gesprochen. Der Prozess wird erst nächstes Jahr stattfinden, aber für ein so kleines Verbrechen wie das Erdrosseln der Exfreundin, weil sie einem den Laufpass gegeben hat, wird er laut Links nicht länger als acht bis zehn Jahre sitzen.«
    Josh stellte seine Tasse ab und wischte sich mit dem Daumen die Schokolade von der Oberlippe. »Ich weiß nicht, was ich dich fragen soll«, erklärte er in frustriertem Ton. »Ich denke mir ganz oft, dass ich dich alles Mögliche fragen muss, aber jetzt fällt mir nichts ein. Ich weiß natürlich, was passiert ist, aber das meine ich damit nicht.
    Es geht mir um etwas anderes.« Mit gerunzelter Stirn starrte er mich an. Wie immer erinnerten mich seine Augen an Jenny, und er kam mir plötzlich viel jünger vor wie der Josh, den ich aus unserem katastrophalen Sommer in Erinnerung hatte.
    »Du hast wahrscheinlich das Gefühl, dass es etwas geben müsste, das ich dir als Lebensweisheit mit auf den Weg geben könnte.«
    »So was in der Art«, murmelte er, während er einen Finger durch ein kleines Zuckerhäufchen auf dem Tisch zog. Ich musste daran denken, dass ich fast dasselbe zu Grace gesagt hatte, als wir uns vor Monaten trafen. Ich holte tief Luft.
    »Morris hat deine Mutter umgebracht, weil es ihm Spaß machte. Dann hat er sich mich ausgesucht, und wenn ich nicht so viel Glück gehabt hätte, dann würdest du jetzt vielleicht mit der nächsten Frau hier sitzen, die er auserkoren hätte, oder mit der übernächsten. Es hätte jede sein können, aber leider ist es ausgerechnet Jenny gewesen. Was mir sehr Leid tut«, fügte ich nach einer Pause hinzu.
    »Schon gut«, murmelte er, während er weiter Muster in den Zucker malte.
    »Wie läuft’s in der Schule?«
    »Ich gehe jetzt in eine andere. Irgendwie hielt ich es für eine gute Idee, die Schule zu wechseln.«
    »Ja.«
    »Da, wo ich jetzt bin, gefällt es mir viel besser. Ich habe Freunde gefunden.«
    »Gut.«
    »Und ich treffe jemanden.«
    »Du meinst, eine Freundin?«
    »Nein. Jemanden, mit dem ich über alles reden kann.«
    »O ja, das ist auch gut.«
    »Was ist mit dir?«
    »Wie meinst du das?«
    »Was machst du denn inzwischen?«
    »Ach, dieses und jenes.«
    »Du meinst, das Gleiche wie vorher?«
    »Nein«, widersprach ich energisch. Ich deutete auf die kleine Nylonreisetasche unter meinem Stuhl. »Weißt du, was in der Tasche ist?«
    »Was?«

    »Unter anderem fünf Jonglierbälle.«
    Er starrte mich an, als würde er mich nicht verstehen.
    »Fünf«, wiederholte ich. »Was hältst du davon?«
    »Das ist ja Wahnsinn!«, sagte er, nun ehrlich beeindruckt.
    »Mein eigentlicher Plan ist, diesen Job ganz loszuwerden, aber bis es so weit ist, muss ich ja nicht auf der faulen Haut liegen.«
    »Zeig’s mir!«, bat er.
    »Hier?«
    »Los, zeig’s mir!«
    »Willst du das wirklich?«
    »Unbedingt!«
    Ich blickte mich um. Das Café war fast leer. Ich nahm die Bälle aus der Tasche, drei in die eine Hand, zwei in die andere, und stand auf.
    »Passt du auch gut auf?«
    »Ja.«
    »Du musst dich konzentrieren.«
    »Ich konzentriere mich.«
    Ich fing an. Es klappte ungefähr eine Sekunde, dann schossen die Bälle in alle Richtungen davon. Einer traf Josh, einer meine leere Kaffeetasse.
    »Na ja, jetzt hast du zumindest eine ungefähre Vorstellung«, meinte ich, während ich unter dem Tisch nach einem
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