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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder
Autoren: Nicci French
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miese Schlampe, das zahl ich dir heim!« Wir lauschten den Schritten auf dem Gehsteig. Irgendwo kreischte eine Frau. Ich hatte mich inzwischen mehr oder weniger an solche Geräusche gewöhnt. Zumindest hielt es mich nachts nicht mehr vom Schlafen ab.
    Fred schaltete die Nachttischlampe an und erhellte damit die ganze triste, schäbige Hässlichkeit meiner Wohnung.
    Wie hatte ich sie bloß kaufen können, und wie sollte ich es jemals schaffen, sie wieder loszuwerden? Ich hatte versucht, sie ein wenig schöner zu gestalten – die billigen orangenfarbenen Vorhänge ausgemustert, die mir der Vorbesitzer zurückgelassen hatte, einen Teppich über die schmuddeligen Dielenbretter gelegt, Tapeten über den beigen Raufaserverputz geklebt, die abgeblätterten Fensterrahmen gestrichen und die Wände mit Spiegeln und Drucken geschmückt –, aber keine noch so geschickte Raumgestaltung konnte kaschieren, wie eng und dunkel alles war. Irgendein Makler hatte den ohnehin schon knapp bemessenen Raum noch weiter zerstückelt, um dieses Loch von einer Wohnung zu schaffen. Das Fenster im so genannten Wohnzimmer war durch die Trennwand zweigeteilt, und auf der anderen Seite hörte ich manchmal einen Nachbarn, den ich nie zu Gesicht bekommen hatte, Obszönitäten schreien, die einer armen Frau galten. Aus lauter Kummer, Einsamkeit und dem Bedürfnis nach einem Ort, den ich mein Zuhause nennen konnte, hatte ich das ganze Geld, das mir mein Vater hinterlassen hatte, für diese Wohnung ausgegeben. Dabei hatte sie sich nie wirklich wie ein Zuhause angefühlt, und nun, da die Immobilienpreise in Schwindel erregende Höhen geschossen waren, brachte ich sie nicht mehr los. Bei diesem Wetter hätte ich jeden Tag die Fenster putzen können, und sie wären abends trotzdem schon wieder schmutzig gewesen.
    »Ich mache uns eine Tasse Tee«, meinte Fred.
    »Ich habe keine Milch mehr.«
    »Hast du Bier im Kühlschrank?«, fragte er hoffnungsvoll.
    »Nein.«
    »Was hast du denn?«
    »Müsli, glaube ich.«
    »Was hilft einem Müsli, wenn man keine Milch hat?«
    Das war eher eine Feststellung als eine Frage. Die geschäftsmäßige Art, mit der er in seine Hose schlüpfte, kannte ich bereits. Gleich würde er mir ein Küsschen auf die Wange drücken und gehen. Zweck des Besuchs erledigt.
    »Als Snack ist es ganz in Ordnung«, antwortete ich vage.
    »Wie Chips.«
    Ich musste an die Frau denken, die der Handtaschendieb überfallen hatte – die Art, wie ihr Körper durch die Luft geflogen war: wie eine zerbrochene Puppe, die jemand aus dem Fenster geschleudert hatte.
    »Morgen«, sagte er.
    »Ja.«
    »Mit den Jungs.«
    »Aber klar doch.«
    Ich setzte mich im Bett auf und betrachtete den Stapel Hausaufgaben, den ich noch korrigieren musste.
    »Schlaf gut. Hier liegen übrigens ein paar Briefe, die du noch nicht aufgemacht hast.«
    Das erste war eine Rechnung. Nachdem ich einen Blick darauf geworfen hatte, legte ich sie auf den Tisch zu den anderen Rechnungen. Das andere war ein Brief, verfasst in einer großen, schwungvollen Schrift: Liebe Miss Haratounian, aus Ihrem Namen schließe ich, dass Sie keine gebürtige Engländerin sind, auch wenn Sie auf den Fotos, die ich gesehen habe, ziemlich englisch aussehen. Selbstverständlich bin ich kein Rassist und zähle zu meinen Freunden viele wie Sie, aber …

    Ich legte den Brief auf den Tisch und rieb mir die Schläfen. Verdammt. Ein Verrückter. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

    3. KAPITEL
    ch wurde von der Türklingel geweckt. Erst dachte ich, dass sich jem
    I
    and einen Scherz erlaubte oder ein
    Betrunkener die Haustür mit dem Eingang seiner Unterkunft verwechselt hatte. Ich zog im vorderen Zimmer die Vorhänge ein wenig auseinander und drückte mein Gesicht gegen die Scheibe, aber der Winkel reichte nicht. Ein rascher Blick auf die Uhr sagte mir, dass es erst kurz nach sieben war. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer mich um diese Zeit besuchen sollte.
    Da ich nichts anhatte, schlüpfte ich schnell in meinen knallgelben Plastikregenmantel, bevor ich nach unten ging.
    Ich machte die Tür nur einen Spalt weit auf. Der Vordereingang des Gebäudes geht direkt auf die Holloway Road hinaus, und ich wollte mit meinem Aussehen am frühen Morgen nicht den Verkehr zum Erliegen bringen.
    Zu meinem Entsetzen war es der Postbote. Wenn der Postbote einem die Post persönlich überreichen möchte, ist das in der Regel kein gutes Zeichen. Meist will er dann, dass man eine Bestätigung über den Erhalt
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