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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nicht. Im Gegenteil, ich würde sitzen bleiben, bis er die Zeitung ordentlich hingelegt hatte und ins Blaue verschwunden war. Es sah aus, als würde es ein schöner Tag werden, jedenfalls so weit mein Blickfeld reichte, und dieser aufdringliche barfüßige Trottel sollte ihn nicht verderben. Der Himmel stieg schräg durch die trägen Schäfchenwolken an, die aussahen wie Wolle. Der riesige Baldachin war an Ort und Stelle, er sah aus wie eine halbierte Kuppel, ein halbes Zirkuszelt. Aber Iver Malt rührte sich nicht. Er war ein sturer Kerl. Als Mutter mit hart gekochten Eiern und getoastetem Brot herauskam, stand er immer noch da.
    »Geh hin und hol die Zeitung«, sagte Mutter.
    »Kannst du das nicht machen?«
    »Nein, kann ich nicht. Und sag ihm noch mal, dass er mit der Zeitung nicht ganz herkommen muss. Der arme Junge.«
    »Aber hast du nicht gesagt, ich sollte keinen Kontakt mit ihm haben?«
    »Die Zeitung holen hat doch mit Kontakt haben nichts zu tun. Und beeil dich bitte.«
    Gestern war er nicht gut, und heute war er ein armer Junge. Widerstrebend ging ich den schmalen Weg hinunter, der mit Kies bestreut war und von Ameisen nur so wimmelte, und ich beeilte mich nicht gerade. Ich hatte Zeit, schob die Hände in die Taschen, musterte ein Eichhörnchen, das eine Kiefer hinaufkletterte und die Nadeln wie vertrockneten Regen fallen ließ. Als ich schließlich an der Pforte ankam, streckte ich nur die Hand aus, natürlich in der Absicht, dass Iver Malt mir die Zeitung geben sollte, aber stattdessen nahm er sie, also meine Hand, und da standen wir, jeder auf einer Seite der Pforte, und begrüßten uns wie zwei Loser. Ich wollte Iver Malt nicht anfassen, deshalb riss ich meine Hand zurück und wäre fast hingefallen. Er lachte und warf mir die Zeitung zu.
    »Soll ich euch den Fahnenmast streichen?«, fragte er.
    »Wieso das?«
    »Weil er gestrichen werden muss.«
    »Mein Vater wird ihn streichen.«
    »Dein Vater ist nicht hier.«
    »Aber er kommt.«
    Iver zuckte nur mit den Schultern. Sein Gesicht war knöchern, braun und ausdruckslos, abgesehen von den Momenten, wenn er lachte. Als er sein rotes Käppi abnahm und sich in dem platt gedrückten Haar kratzte, leuchtete seine Stirn wie Porzellan. Es war selten, dass er das Käppi abnahm.
    »Wollen wir angeln?«, fragte er plötzlich.
    Warum ist ein Nein so schwierig, weil es zwei Buchstaben mehr hat als ein Ja?
    »Ich habe keine Angel.«
    Das war offensichtlich die falsche Antwort. Ich konnte es sogar selbst hören. Ich hätte natürlich Nein sagen sollen, ganz einfach, wir beide wollen nicht angeln, das Allerletzte, was wir beide zusammen machen wollen, ist angeln. Jetzt witterte er dagegen eine Chance.
    »Du kannst eine Dose von mir leihen!«
    »Ich kann nicht mit einer Dose angeln.«
    »Ich zeig es dir. Es ist nicht schwer. Eigentlich ganz einfach, wenn du erst mal den Dreh raus hast!«
    »Ich habe keinen Blinker.«
    »Ich habe ganz viele. Vattern sammelt die.«
    So kam ich also zu einer Art Verabredung mit Iver Malt, bei der ich gegen sechs Uhr zum Anleger kommen sollte, nur weil ich es nicht schaffte, Nein zu sagen. So war ich nun einmal. Ich ließ andere bestimmen und tat, was sie sagten. Ich tat Dinge, die ich nicht wollte, und nickte höflich, während ich innerlich fluchte und es wie verrückt in meinen Scharten juckte. Jetzt war es Iver Malt, der mich dazu brachte, mich dazu brachte, etwas zu tun, was ich nicht wollte. Er lief so schnell er konnte den Hügel hinunter. Konnten wir nicht jeder in unserer Welt bleiben?
    »Du brauchst nicht mit der Zeitung bis an die Pforte zu kommen!«, rief ich. »Leg sie einfach in den Briefkasten!«
    Iver drehte sich um und winkte mit seiner Mütze.
    »Kein Problem! Kein Problem!«
    Ich ging zurück zur Terrasse, wütend und unruhig, zwei Schritt vor und einen zur Seite, gab Mutter die verfluchte Zeitung und köpfte ein Ei, dass das Eigelb in fast alle Richtungen spritzte.
    »Das hat ja gedauert.«
    »Ja.«
    Mutter schaute auf.
    »Was ist denn?«
    »Nichts.«
    »Nichts?«
    »Was soll denn sein? Musst du mir andauernd Fragen stellen?«
    »Entschuldige bitte. Ich habe nur gefragt.«
    Den ganzen Tag über graute mir vor dem Abend. Mein Gedicht zu schreiben, konnte ich vergessen. Mein Kopf war im Ungleichgewicht. Stattdessen erweckte eine Libelle meine Aufmerksamkeit, danach war es ein Schmetterling, der mich in Beschlag nahm. Was wäre, wenn ich die Verabredung einfach nicht einhielt? Was wäre, wenn ich mich schlicht und
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