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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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letztes Mal kreuzten. Und es waren Zeiten des Kummers, da ich
zuletzt die Gelegenheit hatte, das Wort an Euch zu richten. Ich erinnere mich
gut, dass die Geschehnisse dieser düsteren Tage Dich, lieber Grellon, mit
Kummer und Trauer erfüllten. Und auch erinnere ich mich gut an Dich, lieber
Roland, ein kleiner Hoffnungsschimmer in den Armen Deines Vaters. Oft wart Ihr
in meinen Gedanken, und ich bin mir sicher, dass Ihr gemeinsam den Weg zurück
ins Licht gefunden habt. Doch nun, wo alte Wunden verheilt und das Dunkel
verzogen, regt sich die Vergangenheit. Es gibt Neuigkeiten über Vivianne, meine
Nichte, Eure Frau und Mutter. Nachrichten, die uns ermöglichen, die tragischen
Ereignisse der Vergangenheit im neuen Licht zu betrachten. Es würde den Rahmen
dieses Briefes sprengen, und ich würde ein Gespräch Auge in Auge begrüßen.
Zumal es wundervoll wäre, Euch wiederzusehen. Ich hoffe für uns alle, und
besonders für Dich, lieber Roland, dass sich alles zum Guten wenden wird. Ich
möchte Euch beide bitten, mich alsbald als möglich in meinem Haus aufzusuchen.
Ihr seid mir jederzeit willkommen.
    Gute Reise.
    Kinsella Farrah, Neunseen.
    Paps legte den Brief auf den Tisch.
    „Wer ist Kinsella Farrah“, fragte Rolo.
    Paps seufzte.„Kinsella Farrah ist die Tante deiner
Mutter. Ich habe sie zuletzt gesehen“, er grübelte, „kurz nach dem Tod deiner
Mutter.“
    Rolo nickte. Paps strich sich mit dem Handrücken durch
den Bart. „Was denkst du, mein Sohn?“
    Rolo setzte eine entschlossene Miene auf. „Ich denke,
wir sollten packen!“
     
     

Kapitel 2
    Der Helle
    In einem schattigen Teil des Waldes umkreiste eine
dunkle Gestalt eiligen Schrittes einen dampfenden Krater. Sie gestikulierte
wild mit den Armen und plapperte vor sich hin, wie in ein Gespräch vertieft.
Doch außer ihr war niemand zu sehen. Plötzlich blieb sie stehen, warf den Kopf
in den Nacken und rief: „Meister, ich bitte dich! Er ist so ein Spielverderber!“
    Die Antwort folgte prompt. Sie kam aus dem welken
Laub, aus den hohen Baumwipfeln, vielleicht sogar aus der frostigen Erde
selbst. Und eine Stimme, so tief, dass die Vögel ehrfürchtig das Singen
vergaßen, hallte durch den Wald. „Das besprachen wir bereits, Driftwood. Ihr
wart Gefährten, und ihr werdet es wieder sein.“
    Driftwood zuckte unmerklich zusammen. Wie alle
Nachtalben war er nicht sehr groß. So um die 1,30 Meter. Sein Körper war
mit dem schwärzesten aller Felle bedeckt. Das war, stets gut gepflegt, nur am
Bauch etwas weniger dunkel. Seine dünnen Arme baumelten an ihm herab wie
gekochte Spaghetti. Bis zu den Waden hingen sie, und dabei waren seine Beine
nicht weniger lang. Das Gesicht, eine vorstehende Schnauze, war ohne sichtbare Nase
und mit kürzerem Fell bewachsen. Eine Mähne rahmte es ein wie Kronblätter eine
finstere Blüte. Seine Lippen waren so schmal, dass der Mund unsichtbar blieb,
hielt er ihn geschlossen. Das passiert jedoch nur, wenn er schlecht gelaunt
war. Das allerdings war nicht so selten. Dann wimmerte er, dass seine rostige
Stimme jedem ins Mark fuhr. Seine Ohren ähnelten Mäuseohren und saßen schräg
hinten am Kopf. Der thronte ohne Hals zwischen schmalen Schultern, weshalb er
recht groß wirkte. Das machte ihm das Tragen von Sonnenbrillen nahezu
unmöglich. Es wäre aber auch zu schade gewesen, hätte er seine runden Rehaugen
hinter dunklen Gläsern verborgen. Ihr zartes Braun verlieh ihm etwas Sanftes.
Driftwood blinzelte nie - ein Ass im Ärmel bei jedem Glotzduell! Seinen buschigen
Schwanz trug er stets mit Würde und Bedacht. Setzte sich Driftwood, rollte er
ihn ordentlich ein oder trug ihn über dem Unterarm wie ein Kellner sein
Gläsertuch. Sein voller Name lautete übrigens Driftwood D. Flog. Aber wofür das D. stand, das verriet er niemandem. Und wer zu neugierig nachfragte, der
machte die Bekanntschaft der vierfingrigen Pfoten.
     
    „Ja, natürlich waren wir das“, rief Driftwood. „Aber
seht ihr denn nicht, wo es uns hinbrachte? Hunderte Jahre kalter Schlaf!“
    „Und du weißt, dass es ebenso wenig seine Schuld war
wie deine. Der Wind hatte sich gedreht, gegen uns. So ist der Lauf der Welt. Er
ist dein Tag, du seine Nacht. Ihr braucht einander.“
    „Gebt mir ein Heer, Meister. Eine berittene
Hundertschaft unter meinem Kommando wird das Rätsel in null Komma Nix lösen.
Habt Euch doch nicht so!“
    „Das war nie unser Weg. Und unser Weg soll es nicht
werden. Willst du dich so der Welt präsentieren, als bewaffnete Horde? Das
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