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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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höchsten Wipfel
einer Tanne in die Luft und flog davon.
     
     

Kapitel 3
    Die Sonne schien heiß. Der gelbe Renault R4 holperte
die Straße entlang. Rolo saß auf dem Beifahrersitz und schaute aus dem
Seitenfenster. Er hatte schlecht geschlafen und war mies gelaunt. Auf der
Rückbank des Wagens lagen sein Rucksack, der alte lederne Koffer seines Vaters
und ein großer Transportkorb mit einer angriffslustigen Katze. Sein Vater saß
am Steuer. Sie waren am Morgen nach dem Erhalt des Briefes von Tante Farrah in
aller Herrgottsfrühe aufgebrochen, und so war keine Zeit geblieben, jemand für
die Versorgung des Katers zu finden. Außerdem waren alle Freunde selbst
verreist. Den Gedanken, die Nachbarin Frau Dr. Schimpfkäse zu bitten, hatten
sie schnell wieder verworfen. Der Kontakt war nicht der Beste. Den Abend vor
der Abreise hatte Rolo genutzt, um in Ruhe alles zu packen, was sich unterwegs
als nützlich erweisen konnte. Natürlich gehörte dazu Kleidung für jedes
mögliche Wetter – außer für Schnee und Eis, es war ja Sommer. Ein großer
Straßenatlas mit Karten des ganzen Landes, ein Kompass, ein Jagdmesser, welches
er aus seiner kurzen Zeit bei den Pfadfindern behalten hatte, ein Naturführer,
ein Erste-Hilfe-Set, Angelschnur, Kerzen und Streichhölzer, eine Taschenlampe
und ein Haufen alter Comics. Man wusste ja nie.
    Rolo hatte in jener Nacht lange auf seiner Fensterbank
gesessen und nachdenklich in den klaren Nachthimmel geschaut. Er freute sich
auf die Reise. Aber der Brief hatte ihn in einer Weise berührt, wie er es selbst
nicht für möglich gehalten hatte. Bisher war er doch sehr entspannt durchs
Leben marschiert. Alles war gut, wie es war. Zumindest okay. Doch an diesem
Abend kreisten alle Gedanken um seine Mutter. Wie es wohl wäre, wenn sie da
wäre. Für ihn da. Mit aller Kraft schob er den Gedanken beiseite, in einen
abgelegenen Winkel seines Kopfes. Mit seinem Vater hatte er an jenem Abend kaum
noch gesprochen. Auch er wirkte bedrückt und war noch verwirrter als sonst.
Deshalb hatte Rolo kurz vor der Abfahrt auch noch heimlich seinen Koffer
kontrolliert. Er wollte sichergehen, dass auch wirklich Kleidung darin war.
Dort hatte er das Buch wiedergefunden, mit der Zeichnung der Frau am See. Lange
hatte er das Bild betrachtet, aber keine der Kreaturen schaute in seine
Richtung. Er hatte sich wohl geirrt. Die Blutguts hatten ihre Reise begonnen,
als der Frühnebel noch über den Wiesen lag. Sie erwarteten einen weiteren
heißen Sommertag und wollten einen Großteil des Weges bewältigen, bevor die
Sonne das Auto in einen rollenden Backofen verwandelte.
    Es war nicht leicht gewesen, den Kater davon zu überzeugen,
den Platz im kühlen Haus gegen den engen Transportkorb zu tauschen. Die Kratzer
an Rolos Armen waren der Beweis für Igels mangelnde Begeisterung.
    Das Haus hatte traurig ausgesehen mit den
geschlossenen Fensterläden in den ersten Stunden eines neuen Tages.
     
    Zunächst waren sie durch vertraute Gegenden gefahren,
passierten vertraute Orte. Um Rabenstadt war die Gegend flach und weit. Kaum
eine Erhebung trübte den Blick auf den weiten blauen Himmel, der von Schönwetterwolken
durchzogen war. Die meisten freien Flächen in der näheren Umgebung waren
Felder, Äcker und Weideland mit alten hölzernen Zaunpfählen und verwucherten
Grünstreifen. Zwar gab es auch zahlreiche kleine Wälder und den einen oder
anderen wilden Fleck, der nicht von Menschenhand gezähmt schien, doch alles in
allem wirkte das Land kultiviert und geordnet. Die Wanderwege waren befestigt,
die Radwege asphaltiert und ausgeschildert. In Scharen von den Bewohnern von
Rabenstadt genutzt, herrschte hier bei gutem Wetter ein geschäftiges Treiben wie
in der Stadt. Das war ein schöner Platz, kein Zweifel, aber ein Platz für
Abenteuer war das nicht. Kilometer für Kilometer arbeitete sich der alte
Wagen tapfer die Straßen entlang in Richtung Ferne. Paps hatte den Sitz so weit
nach vorne gerückt, dass seine Stirn beinahe die Windschutzscheibe berührte.
Kerzengerade saß er am Steuer und fixierte hoch konzentriert die Straße.
    Rolo hing entspannt daneben, die Rückenlehne so weit
zurück gestellt, dass er mit dem linken Arm die reisemüde Katze erreichen konnte.
Doch auch seine stetigen Versuche, das Tier bei Laune zu halten, konnten nicht
die Strapazen eines heißen Reisetages verscheuchen. Sie sprachen nicht viel miteinander
und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Um große Umwege zu vermeiden, übernahm
Rolo
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