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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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des Hämmerns und Klopfens vom Vorabend. Das war reiner Wahnsinn!
    Sie warf einen Blick hinaus. Und auch draußen erschien ihr alles sonderbar. Ja, es war frühmorgens, und die aufgehende Sonne warf ihre Strahlen voraus. Aber die in Licht getauchte Scheune wirkte heller, wie aus neuem Holz mit einem frischen, noch unfertigen Anstrich versehen. Vielleicht lag es am Licht, daß man den eingebrochenen Dachteil nicht sehen konnte. Die Bäume im Hof neben dem Haus waren aufrechter, höher, grüner, und der Blick zum See war durch dichte Waldungen verstellt. Alles sah aus, als hätte sich über Nacht ein Vorhang oder eine Decke herabgesenkt und die Wildheit, die Einsamkeit der Gegend noch mehr betont. Nun ja, dachte sie mit einem letzten Rest ihres früheren Geistes, das wenigstens wird die Dörfler glücklich machen.
    Und dann fing etwas anderes an, sie zu beunruhigen, indirekt und und verhüllt, als wäre es unwichtig, als hätte es eigentlich nichts mit ihr selbst zu tun: Würden sie – David und sie – hier wegkönnen? Aber gewiß. Aber so ganz überzeugt war sie nicht, und sie wurde wieder nervös. Katie ging in den Waschraum, plagte sich mit der Handpumpe ab und schüttete sich kaltes Wasser über das Gesicht. Es half nicht viel. Sie fühlte sich noch immer benommen und nicht ganz klar. Aber die Kälte war wenigstens ein gewisser Schock. Ihr Denkvermögen setzte wieder ein, und sie machte sich daran, sich weiter umzusehen.
    Papa schlief nicht auf der Couch, und es sah nicht aus, als hätte er sich hier überhaupt schlafen gelegt. Das Bettzeug war an seinem gewohnten Platz, feinsäuberlich in der Kommode. Er hatte auch nicht im Schlafzimmer, im Ehebett geschlafen.
    Dann fiel ihr ein, was David ihr in der Dunkelheit zugeflüstert hatte.
    »Ich habe ihn in der Hand. Alles läuft glatt.«
    Sie blieb wie angewurzelt stehen. War David sein Temperament durchgegangen? Hatte er ihm etwas angetan? Hatte er schließlich einen Entschluß gefaßt und mit Papa seine alte Rechnung beglichen?
    O nein, dachte sie reumütig und ängstlich, und ich dachte, es wäre alles vorbei. Es kann doch nicht wieder neu anfangen.
    Einem Gefühl folgend, das dem Instinkt nahe verwandt war, ging sie auf die Kellertür zu, die offen stand. Sie zündete eine Petroleumlampe an und ging hinunter in den Keller. Auf halbem Weg auf der Treppe spürte sie bereits den intensiven Geruch verbrannten Wachses. Die Tür zum Kartoffelkeller stand weit offen. Das nahm sie ohne besondere Überlegungen als nackte Tatsache hin, stieg die Treppe weiter hinunter und bewegte sich wie im Traum auf diese Tür zu. Und dann stand sie in dem Raum. Die Petroleumlampe, deren Geruch sich mit dem Kerzenduft mischte, leuchtete trübe. Die merkwürdigen hohen Kerzen waren heruntergebrannt und erloschen. Auf den zwei Sägeböcken ruhte ein Saatkasten. Sie ging darauf zu, hielt die Lampe hoch und sah hinein. Nein, da keimte nichts, doch in der weichen schwarzen Erde war der Abdruck eines menschlichen Körpers zu sehen, und auf dem Boden um die Kiste lagen Erdklumpen.
    Sie trat zurück und hob die Lampe noch höher. Ja. Das war es. Und eine Erinnerung kam ihr, ein Gespräch aus einer noch nicht lange zurückliegenden Zeit, und doch schon ein Menschenalter zurück: »Es kann nicht klappen, oder?«
    Und eine andere Stimme, undeutlich und verschwommen: »Solltest du etwas brauchen«, hatte Judy Boomer gesagt, »dann rufe mich unbedingt an.«
    Ein wenig schuldbewußt, weil sie ihrem eigenen Mann nicht traute – es war das erste Mal –, ging sie hinauf zu dem uralten hölzernen Telefonapparat, den Papa an der Wand angebracht hatte. Der komische konische Hörer hing an einem Haken neben der Box. Das Mundstück, wieder ein konisches Ding, ragte mitten aus der Box, unter zwei runden, an Brüste erinnernden Metalldingern: Klingeln, die läuteten, wenn jemand anrief. Sie nahm den Hörer ab und lauschte.
    Nichts.
    Das auch noch? Es mußte einfach funktionieren.
    Sie drehte an der seitlich angebrachten Kurbel. Mehrmals.
    »Vermittlung?« sagte da eine Stimme wie aus weiter Ferne. »Sie wollen die Vermittlung?«
    »Wie bitte? Vermittlung bitte.«
    »Ich bin’s, Schätzchen«, sagte die Stimme. Eine Frauenstimme, leicht mürrisch. »Nummer?«
    »Was?«
    »Ja, kann denn kein Mensch mit diesen neuen Apparaten umgehen? Wen wollen Sie? Ich brauche die Nummer.«
    »Die Nummer habe ich nicht. Sehen Sie unter Joel Krause nach.« Das war Judys Vater, bei dem sie eine Weile bleiben wollte.
    »Den haben
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