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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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amüsiert, so als teilten sie insgeheim einen Scherz.
    »Und natürlich haben wir alle zusammengeholfen, um die Zweite, die Junge, hier zu behalten. Was gar nicht einfach war. Sie hat Mut und Verstand bewiesen.«
    Die Leute lachten und beglückwünschten einander dazu.
    Sie versuchte sich Klarheit zu verschaffen – war von ihr oder von jemandem anderen die Rede? »Sie mußte die erste, die Alte, ersetzen, deren Leib Grab und Weg zur Jugend war. Der Weg war bereitet. Und da sie die einzige war, die nicht von den geweihten Lichtern geweckt wurde und nicht von Kerzen umgeben in der Erde geschlafen hatte – blieb sie, die Junge, genauso wie sie war. Als Ausgleich. Die Junge anstelle der Alten. Vollkommen. Bens junge Frau bildet den Schlüssel – sie paßt im Alter genau zu ihm. Es war – es ist – eine Zeit des Glücks, der Jugend«, murmelte er und hob sein glattes Gesicht der Sonne entgegen. »Gleichgewicht und Opfer und Glauben an die Erde und das Licht. Die Erde ist Erneuerung und hält den Samen der Auferstehung bereit, wie es unser gemeinsamer Glaube ist.«
    Die Leute waren überwältigt. »Amen«, rief einer.
    Mauslocher sah sie gebieterisch an. Alazara hatte den Beweis erbracht.
    Aus dem Hause der Rasmussens hörte man dünnes Babygeschrei.
    »Herc klingt aber wie immer«, erlaubte sich Otto Ronsky die Bemerkung.
    Die Leute lachten lauthals.
    Dann rollte ein uralter Ford ins Dorf und hielt vor dem Laden an. Eine hübsche, ein wenig mollige Frau stieg lächelnd aus. Kinder liefen ihr entgegen. Sie empfing sie mit ausgebreiteten Armen. Ihre grünen Augen blickten sanft und strahlend. Sie ging auf die Schar der Gläubigen zu.
    »Ich kann’s nicht fassen!« rief Aggie Jensen aus.
    »Ja, das war eines unserer großen Probleme«, erklärte Doc Bates. »Jetzt bist du überglücklich, aber beinahe hättest du alles verraten und die Junge verschreckt und in die Flucht gejagt.«
    »Es hieß, alle, die wir Land besitzen, oder keiner«, sagte Mauslocher.
    Die junge Frau neben Ben Jasper starrte Aggie an. Alles drehte sich, die Gesichter der Menschen, die ganze Umgebung, der Kirchturm geriet ins Schwanken und drohte auf die Bäume zu stürzen.
    »Achtung, Ben, sie …«
    Aggie war sofort zur Stelle, mitfühlend und hilfsbereit wie immer.
    »Fühlst dich ein wenig schwach, Katrin?« fragte sie.
    »Nein, ich heiße doch …«, setzte sie an und versuchte sich von der Frau loszumachen. Aggie Jensen war tot!
    Und dann geschah es.
    Ein Kräftefeld teilte sich irgendwo, eine Schranke fiel, in der Ferne stieg Nebel auf, und nur einen Augenblick lang öffneten sich die Tore der Zeit, elastisch, pulsierend, ehe sie auf ewig hinter dem Dorf der Illusion und der Sehnsucht zufielen.
    Ein rassiger roter Wagen brauste heran, ein seltsamer Gegensatz zu all den Oldtimern. Hühner flatterten auf, dösende Hunde wurden aufgescheucht, und der Wagen hielt unvermittelt vor der Dorfwiese an. Die Leute wichen erst zurück und gingen dann gemeinsam auf den Wagen zu.
    »Sieht aber prima aus, dieser Schlitten«, äußerte der junge Willis, der mit der Andeutung eines Hinkens ging.
    Die Tür des roten Wagens öffnete sich, der Fahrer stieg aus und sah sich um. Er kam allen bekannt vor. Er war wütend, aber auch erschrocken, ja entsetzt. Das dichte braune Haar fiel ihm mit einer Locke in die Stirn.
    »Mein Gott«, stieß er hervor.
    »Sprich den Namen Gottes nicht unnütz aus«, ermahnte Reverend Mauslocher ihn. »Dergleichen Redereien dulden wir hier im Dorf nicht.«
    Der Neuankömmling überblickte suchend die Schar, suchte die Gesichter ab. Dann hatte er sie gesehen und arbeitete sich zu ihr durch.
    Er sah so bekannt aus, so bekannt und so sehnsüchtig erwartet. Aber sie konnte sich nicht erinnern.
    »Es war also doch möglich! Ihr habt es geschafft. Ihr Idioten habt es geschafft«, rief er in höchster Angst und umfaßte ihre Schultern.
    Der Mann mit der Narbe auf der Wange trat in drohender Haltung auf ihn zu.
    »Wer sind Sie, junger Mann?« fragte er herausfordernd.
    »Soll das heißen, daß Sie so weit zurückgegangen sind, daß Sie sich nicht mehr an mich erinnern? Ich bin ihr Mann, ja, das bin ich«, gab der Fahrer des Wagens entschlossen zurück.
    Die Schar der Umstehenden schien belustigt. Ben Jasper lächelte geringschätzig.
    »Katie, begreifst du denn nicht?« bat der junge Mann und sah sich nervös nach dem roten Wagen um, um den sich die Menge bedrohlich scharte. Sie versetzten dem Wagen Tritte und rüttelten an ihm. Und er würde
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