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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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wir nicht.«
    »Krause? Joel Krause in St. Cloud?«
    »Tut mir leid.«
    Um Himmels willen, war denn so was möglich? »Na schön, dann geben Sie mir eben die Nummer von Len T. Boomer.«
    Ein Teil ihres Bewußtseins wunderte sich. Len T. Wie?
    »Den haben wir nicht«, gackerte die Frau.
    »Nicht im Dorf. In St. Cloud, meine ich.«
    »Das sagten Sie bereits. Wovon ist eigentlich die Rede?«
    »St. Cloud! Die Stadt, begreifen Sie denn nicht? Verbinden Sie mich wenigstens mit der Vermittlung in St. Cloud.«
    »Nie gehört«, brachte die Frau aufgeregt heraus. »Hören Sie, es wäre besser …« und dann schlich sich leiser Argwohn in ihren Ton ein, als wäre ihr plötzlich eine verborgene Bedeutung aufgegangen.
    »… wer spricht da eigentlich? Ich meine, ist da etwas schiefgegangen? Ist der Samen nicht aufgegangen oder …«
    Samen? Aufgegangen …
    Sie konnte nur langsam denken, ihr Verstand mußte sich mühsam durch verschiedene Schichten vortasten.
    »Entschuldigung. Würden Sie mich mit dem Wagonwheel verbinden?«
    David hatte gesagt, Hercules wäre wohlauf.
    »Warum nicht gleich? Dieser andere Unsinn hat mich unsicher gemacht …«
    Durch den Draht drangen klickende Geräusche.
    »Wagonwheel. Hallo?« Eine Frauenstimme. Etwa Mrs. Rasmussen? Die ging doch nie ans Telefon. Der Nebel verdichtete sich. Katie war nicht imstande, eine Frage zu formulieren.
    »Wer spricht denn da?« fragte die Frau zurück.
    »Mrs…, Mrs. Rasmussen?«
    »Ganz richtig! Warum belästigen Sie mich? Worum geht es? Ich habe jede Menge Arbeit. Muß meinen Mann dazu bringen, daß er das Bier für das Picknick heraufschafft, muß mich kümmern, daß …«
    »Entschuldigung. Es tut mir leid.«
    »Sie sind vielleicht gut!«
    Die Frau hängte auf.
    Ich kann nicht richtig denken. Hier ist etwas … Sie wollte erst mit ihrem Mann sprechen. Er hatte gesagt, Herc ginge es gut, aber hatte er ihn tatsächlich gesehen?
    Sie lief eilig hinauf in ihr Zimmer. Er lag noch immer vergraben in Laken und Decken.
    »Er ist fort«, wollte sie sagen. Sie meinte damit Papa. Da hielt sie jäh inne. Ihr Verstand geriet ins Wanken, der schwache Zugriff, mit dem ihr Gehirn den Morgen erfaßt hatte, lockerte sich immer mehr, sie trieb auf den Rand eines Abgrunds zu, und fiel …
    Er befreite sich von den Decken und setzte sich im Bett auf.
    »Katrin«, sagte er mürrisch. »Ist es schon spät?«
    Betäubt, atemlos vor Ungläubigkeit schüttelte sie vage den Kopf und spürte dabei, wie ihr Geist unsicher wurde und sich zurückziehen wollte.
    »Na, ich stehe jetzt auf. Heute wird der Tag der Sonnenwende gefeiert. Und du wirst dich sicher auch hübsch machen wollen.«
    Er starrte sie gleichmütig an. Sein Blick ließ die Erinnerung an das genossene Vergnügen aufschimmern.
    »Das wird heute ein Fest! Mrs. Rasmussen stiftet Freibier zur Feier des Tages. Zu Ehren ihres neugeborenen Sohnes. Sie wollen ihn Hercules nennen! Klingt ein bißchen großartig. Wahrscheinlich haben sie mit dem Jungen einiges vor.«
    Sie stand reglos da. Sie konnte sich nicht rühren, nicht atmen, nicht sprechen. Ihr Mund bewegte sich, ohne einen Ton hervorzubringen. Ihre Augen waren starr und aufgerissen.
    Der junge Mann stand auf, nackt, kraftvoll gebaut. Als er die Decken zurückschob, rollten Erdkrumen über das Laken; Getreidekörner rieselten auf seine Schultern, als er sich durch das dichte dunkle Haar fuhr.
    Im Raum roch es nach Erde und Liebe.
    Über seine Wange lief ein tiefer gebogener Schnitt, über dem sich frische narbige Haut bildete.

 
II
     
     
    Aus allen Richtungen strömten die Gemeindebewohner zur Sonnwendfeier nach St. Alazara. Glückliche junge Menschen, teils in alten Autos, teils in Pferdewagen, viele mit Kindern. Sie winkten einander zu und begrüßten einander mit Zurufen. Ben fuhr den Studebaker.
    »Es ist gutgegangen.«
    »Dem Himmel sei Dank, es hat geklappt.«
    »Wir haben es geschafft. Unser Glaube hat uns geholfen.«
    »Und der Reverend. Und Ben.«
    »Sieh mal! Du hast ja auch dein Haar wiederbekommen.«
    »Das hört man gern. Hü!«
    »Mensch, ich fühle mich wie neugeboren. Könnte es mit einer jungen Stute aufnehmen.«
    »Halte dich lieber an deine Alte!«
    »Die ist nicht alt. Nicht mehr.«
    Auf den Feldern stand das Getreide grün in vollem Wuchs. Es hatte ausreichend geregnet, was für Mais, Weizen und Klee sehr günstig war und was sehr lautstark und hoffnungsvoll kommentiert wurde. Die wieder kraftvollen und lebensfrohen Männer standen auf dem Rasen gegenüber
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