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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael Derbort
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gleichen System. Zwölf Grabreihen waren in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Die jeweils älteste Grabreihe musste, wenn es wieder so weit war, weichen. Diesmal war Reihe sieben dran, wie der Pfarrer dem älteren der beiden Totengräber am Telefon mitteilte.
    Die Dämmerung setzte bereits ein, als sich die beiden Totengräber mit Hacke, Schaufel und Handlampe auf den Weg machten. Zwar mochte nach Einbruch der Dunkelheit niemand so gerne auf den Friedhof gehen, aber noch unangenehmer war es, eine solche Arbeit bei dieser brütenden Hitze zu verrichten. Daher hatten sich die beiden Totengräber abgesprochen, erst gegen Abend mit der Arbeit zu beginnen.
    Laut Kalender war in einem Tag Vollmond. Das bedeutete, dass der Mond bei der zu erwartenden klaren Nacht genügend kaltes Licht spendieren würde, sodass sie auf die Verwendung der batteriebetriebenen Lampen weitgehend verzichten konnten. Hinzu kam, dass es noch nicht richtig dunkel war. Die Sonne tauchte gerade als blutroter Ball hinter dem Horizont unter.
    Nach noch nicht einmal einem Drittel der Strecke lief den beiden Totengräbern der Schweiß in Strömen von den Gesichtern herunter.
    „Das hat mir gerade noch gefehlt“, schimpfte der Jüngere. „Bei diesem Wetter Gräber zu schaufeln ist das Letzte, wovon ich jetzt geträumt habe.“
    „Es ist immer das Letzte, wovon du geträumt hast“, entgegnete der Ältere.
    „Wie?“
    „Es ist immer das Gleiche, Kurt.“ Der Ältere blieb stehen, um ein wenig durchzuatmen. Kurt, der Jüngere, lief noch drei Schritte, ehe er kapierte, dass sein Kollege nicht weiter gegangen war, und kehrte zu ihm zurück. Erst dann fuhr der Ältere fort.
    „Im Winter ist es dir zu kalt“, sagte er, „im Sommer ist es dir zu warm. Morgens ist es dir zu früh, abends ist es dir zu spät. Du bist unzufrieden, wenn du keine Arbeit hast, und du bist unzufrieden, wenn du arbeiten musst.“
    Der Ältere sprach ruhig. In seinen Worten schwang nicht der geringste Vorwurf mit. Es waren einfach nur Feststellungen. Vielleicht ein wenig Trauer. Dennoch fühlte sich Kurt unwohl. Dann sprach der Ältere noch einen Satz aus, der Kurts Verteidigungsrede bereits im Ansatz erstickte.
    „Es ist traurig, Kurt“, fuhr der Ältere fort. „Ich möchte wissen, was dir widerfahren musste, damit du mit deinem Leben so unglücklich bist.“
    Dann nahm er sein Werkzeug wieder auf und ging weiter.
    Kurt folgte ihm wortlos. Er dachte über die Worte nach.
    Als die beiden das verrostete Tor des Friedhofs erreichten, war es bereits merklich dunkler. Die Temperaturen indessen schienen sich auf die Bruthitze endgültig eingeschossen zu haben. Es wollte einfach nicht abkühlen. Aber es half nichts. Die Arbeit musste getan werden. Die nächste Beerdigung stand bereits in zwei Tagen an und bis dahin mussten die Gräber bereit sein.
    Auf dem Friedhof bedurfte es keiner weiteren Worte mehr. Die beiden Totengräber waren ein eingespieltes Team. Sie gingen zu der fraglichen Grabreihe, Kurt begann auf der linken Seite, sein Kollege rechts und irgendwann nach scheinbar endlosen Stunden trafen sie sich in der Mitte.
    Grabschmuck, falls überhaupt noch welcher vorhanden war, wurde beiseite gestellt. Die Grabsteine wurden mit der Brechstange aus dem Erdreich gehebelt und dann wurde mit Hacke und Schaufel das Grab ausgehoben, bis die Totengräber auf die Gebeine stießen.
    Diese sollten dann vorsichtig und mit aller Ehrfurcht aus dem Erdreich geholt und in das Beinhaus getragen werden.
    Sie arbeiteten schnell und routiniert. Schon nach einer Stunde stieß die Schaufel von Kurt mit einem hohlen „KLOCK“ auf den Deckel des Sarges.
    Und genau dieses Geräusch ließ ihn verwundert innehalten.
    Die Toten dieser Grabreihe waren vor mehr als dreißig Jahren verstorben. Wenn überhaupt, dann sollten von dem Sarg lediglich moderige Holzreste übrig sein. Das Geräusch erweckte aber vielmehr den Eindruck, als ob unter dem Holz immer noch der Hohlraum eines weitgehend erhaltenen Sarges zu finden war.
    Kurt schüttelte zunächst mal verwundert den Kopf und grub erst einmal weiter. Schon bald wurde klar, dass er dabei war, einen scheinbar vollständig erhaltenen Sarg freizulegen.
    Kurt schüttelte den Kopf und kletterte aus dem Grab heraus. Er fluchte leise, als er erkannte, dass er den weitgehend achtlos ausgehebelten Grabstein so umgeworfen hatte, dass er mit der beschrifteten Seite nach unten auf dem Boden lag.
    Er bückte sich, und mit großer Mühe gelang es ihm, den
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